Roxelane
Und alles kam für sie darauf an, nicht müde zu werden, und daß sich ihre Kraft, deren sie noch bedürfen würde, im Warten nicht sinnlos verbrauche.
Darum zwang sie ihre Aufmerksamkeit auf ein Tun, das ihrer Lage so entgegengesetzt wie nur möglich war. Jeden einzelnen Teppich leuchtete sie an, um herauszufinden, woher er wohl stamme.
Ganz von selbst kam sie dabei in das nächste Zimmer, in dessen Brokat mattblaue Blumen auf silbernem Grunde blühten.
Es war bald durchforscht.
Doch als sie den Vorhang zum übernächsten raffte, erstarrte sie.
Auf rotem Teppich stand ein riesiges Bett. Die Matratze war rot, rot waren die Laken. Die weißen Kissen aber waren breit mit dem heiligen Grün des Propheten und des Kalifenhauses gerändert.
Wie ein feindlicher Zwang wirkte das leere Bett auf sie, wie eine griffbereite Drohung, vor der ihre Gedanken, daß alles nur ein Spiel sei, zerstoben. Denn ein Schreckliches stand zu Häupten des Bettes.
Wie leblose Statuen hielten zwei Pagen fackeltragend Nachtwache für Soliman Khan. Die Pagen waren verschnitten, und - an den gelben Röcken sah es Roxelane - es waren zwei Stumme! Zwei der Stummen des Serails. Sie waren es, die Brüder und Neffen eines neuen Padischah zu erdrosseln hatten. Zwei der Henker waren es, die man der Zungen beraubte, damit sie nichts vom ersten Entsetzen, von der Todesangst nichts und nichts vom letzten Verröcheln erlauchter Prinzen erzählen konnten.
Mit einem Aufschrei ließ Roxelane den Vorhang fallen und floh.
Sie lief, wie sie vor Denko nie gelaufen wäre und vor niemand sonst. Sie lief, um dem Schrecklichen zu entgehen, das die ungeborene Frucht ihres Schoßes bedrohte. Nichts war sie mehr als wieder das kleine Mädchen in durchlöchertem Röckchen, das zu Serafim wollte und zu ihrer Katze. Die taten ihr nichts! Nichts wollte sie von Brokat mehr und Pracht. Eine Schilfhütte wollte sie, einen Platz hinterm Herd, zurück nach Chortiza wollte sie. Und da, wo sie hingestürzt war, lag sie nun, und von Grauen geschüttelt, vergrub sie wild ihr Gesicht in dem Teppichgewebe aus Meraasch.
8
„Was ist Ihnen, Dame?“ fragte eine Stimme.
Fast klang sie wie die Stimme Serafims, nur daß Serafims Stimme froh war.
Eine Hand berührte Roxelane.
Ehe sie emporsah, vergewisserte sie sich aber erst ihres Schleiers. Und wieder war es fast das Gesicht Serafims, das sie erblickte, blaß und schmal, und um die Schläfen floß es ihm schwarz. Beinahe hätte sie Vertrauen zu dem Gesicht gefaßt. Doch wie Blutstropfen hing es ihm an den Schläfen.
Serafim aber trug kein Zeichen vergossenen Blutes.
So sah sie denn, daß es der Kaiser war.
Bis ins erste Zimmer war sie zurückgeflüchtet, dorthin, wo Soliman sie hatte finden sollen, und dort hatte er sie gefunden.
Jetzt sah sie in zwei traurige Augen, die des Kaisers waren. Und als der Kaiser ihr winkte, erhob sie sich.
Ein wenig wich ihre Angst, als sie stand.
Denn nun war sie nicht mehr allein.
Soliman aber fand, daß heute alles gegen die Regel sei, und die Dame habe ihn mit gekreuzten Armen begrüßen müssen. Dennoch erzürnte ihn das Gebaren dieses Mädchens aus der Steppe keineswegs so, wie Saffiejes Heftigkeit es getan hatte.
„Ich ließ Sie warten, Dame“, sagte er nur, „und Sie haben geträumt.“ „War es . . . war es ein Traum?“
„Was?“ fragte Soliman.
Roxelane machte eine scheue Gebärde, die Soliman rührte und die er verstand.
„Die Dame war neugierig?“ lächelte er. „Und die Wache am Bett hat die Dame erschreckt? Aber sie ist eine Vorschrift, von der wir absehen wollen“, fügte er noch hinzu.
„Waren es ... Stumme?“ graute es Roxelane noch jetzt.
„Es war ein Traum“, sagte Soliman und kam sich dabei so männlich und überlegen vor, daß er ihr günstiger gesonnen wurde als vorher. Darum beugte er sich denn auch entschlossen vor, um ihr den Asmack vom Gesicht zu nehmen.
Sie aber wehrte ihm mit ihren Händen.
„Ich bin häßlich!“ rief sie, und auf einmal hatte ihre Zunge wieder die alte Geläufigkeit wie einst bei den Wortkämpfen in Chortiza: „Eure Majestät wissen es und sollten Ihre Augen nicht so erniedrigen, mich auch nur anzusehen! Schon auf dem Sklavenmarkt in Perekop wollte mich niemand. Ich sei eine dürre Ziege, sagten die Leute. Und das war noch das Gelindeste! Ich kann die Ohren Eurer Majestät nicht mit den wenig gewählten Worten beleidigen, die sie über mich sprachen. Damit will ich aber durchaus nicht andeuten, daß die Leute etwa Unrecht
Weitere Kostenlose Bücher