Roxelane
einfach und gerade so viel, um dem Anstand zu genügen! - Und was der Tschokadar hier herumstehe? Heute gebe es keinen Mantel zu tragen. Der Erste Kämmerling und Mantelträger möge gefälligst die Hanum empfangen und ihr das allerhöchste Erscheinen in Aussicht stellen! - Und Trauer hin, Trauer her, er wolle doch ein schwarzes Kopftuch, nichts als ein schwarzes! Soliman hielt sehr auf gute Kleidung und nicht nur darauf, daß sie reich, sondern auch darauf, daß sie geschmackvoll und der Gelegenheit angemessen sei.
Aber diesmal dauerte es besonders lange, bis er sich endlich herbeiließ, dem Chaßoda Baschi, dem Ersten Ankleider und Präfekten der Inneren Kammer, zu befehlen, ihm einen leichten, mit Zobel ausgeschlagenen Hauspelz von grüner Seide anzulegen. Wann er jedoch geschmückt sein und die Börse mit Goldstücken in den Gürtel stecken würde, das war überhaupt noch nicht abzusehen! Denn das war stets der Beschluß. Und die Börse mußte am nächsten Morgen den Pagen der Nachtwache zufallen. Alles seufzte in sich hinein und gedachte mit Unwillen der Verderberin Saffieje.
„Uulugorum tez ghel..näherte sich inzwischen der Gesang: „Komm schnell; denn ich sterbe .. .“
Soliman aber, der das Turbanwinden in der Pagenkammer gelernt hatte, vertiefte sich gerade in die Aufgabe, das rubinenbeschwerte Ende seines schwarzen Kopftuches so weit aus der Windung zu lassen, daß der Überhang gerade noch seinen rechten Schläfenansatz berühre. Dennoch wartete auf ihn ein Saal, in dem das Wachs der Kerzen duftete und ihr Licht die gedämpften Farben der Teppiche erglühen ließ. Nichts war nackt in diesem Raum. Die kostbaren Gewebe verhüllten jeden Zoll des Bodens und der hohen Wände, um sich dann nach oben an eine Decke zu verlieren, die man im fernen Glimmern ihres gedunkelten Holzschnitzes nur noch erahnte.
Es war ein Saal der Geheimnisse, der auf ihn wartete, ein Raum ohne Grenzen und doch zugleich eng. Selbst die Lichter umhüllten mehr, als daß sie erhellten.
Es war das verschwiegene Gemach, das Roxelane ruhelos durchmaß. Wie das Zimmer ihren Blicken, so verschwammen ihrem Erinnern auch die Umrisse von allem, was mit ihr zuletzt noch geschehen war. Die Auflösung des Zuges, die Wünsche von Fruchtbarkeit, Gesundheit und langem Leben waren bereits ferne Bilder für sie, selbst das Verneigen des Tschokadars ging in dem vielen unter, dessen Bedeutung immer dieselbe gewesen war: daß die Tage ihres Mädchentums nun vergangen sein sollten.
Aber auch dieser Gedanke erlosch wie der Klang ihrer Tritte im Teppich. Schritt für Schritt setzte sie ihre Füße willenlos voreinander, immer in dem verdeckten Bewußtsein, sich nicht setzen zu dürfen.
Schritt für Schritt glitt sie mehr durch den Saal, als daß sie ging, bis sie dann an den niedrigen Tisch stieß, von dem venezianisches Kristall sie anblitzte.
Erst war ihr das Rot der Karaffe nur ein etwas tieferes Leuchten -dann begriff sie, daß dort Wein stand.
Sie erinnerte sich, daß Soliman Wein trank. Jedenfalls erzählte man es sich von ihm. Aber schon allein die Vorstellung des Trinkens zog ihren Körper herab, ließ sie ihre Hände ausstrecken.
Mannigfache Weine standen da. Ohne zu wählen, ergriff sie einen aus Chios. Und dann trank sie. Wasser oder Wein, gleichviel, wenn es nur etwas war, das feucht und kalt in den Körper rann.
Wie ausgedörrt fühlte sie sich.
Denn an alles hatte man gedacht, scheinbar nur an das Nächstliegende nicht: daß nämlich die Anstrengungen des stundenlangen Bades und der Massagen selbst einem so zähen Mädchen wie Roxelane Müdigkeit und Durst verursachen könnten. Oder es war nur zu sehr bedacht gewesen, und etwaige Gönner oder Gönnerinnen der Saffieje mochten an der allzu großen Süßigkeit des Sorbets, den man Roxelane gereicht hatte, nicht ganz unschuldig gewesen sein.
Jetzt aber fühlte sie sich gestärkt.
Sie erschrak wohl selbst ein wenig über den Verstoß, den sie begangen hatte, empfand dann aber doch eine große und heitere Genugtuung, als sie das Glas wieder hinsetzte. Auch die Bewegtheit der seelischen Vorgänge dieses Tages verstärkten nur noch die Wirkung des Weins. Noch ein letztes Mal spannte sie der Sturz in etwas so Neues und Unerwartetes, wie sie es heute erlebt hatte.
Mit aller Stärke drängte es sie nun aus ihren kreisenden Gedanken heraus zum Wort und zur befreienden Tat. Doch als sie sich nach ihrem Gegner umsah ... war sie allein. Immer noch allein.
Wie ein Fechten gegen Watte war das.
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