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Roxelane

Titel: Roxelane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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brauchten.
    Ihre Bedienung aber, die außer den Möbeln eigentlich das Serail zu stellen hatte, richtete Dede Semid aus eigener Machtvollkommenheit ein. Und dazu schloß man höheren Orts gern beide Augen. War es doch nur willkommen, wenn jemand da war, auf den man gegebenenfalls alle Verantwortung abwälzen konnte.
    Die aber, für die alles geschah, nahm den geringsten Anteil daran. Ob ihre Laufbahn begann oder zu Ende sei — Roxelane wußte es selbst nicht. Während eines Feldzugs und einer Belagerung konnte vieles geschehen. Und je mehr Stunden und Tage dahinrannen, um so weniger dünkte Roxelane die eine Nacht entscheidend, die sie mit Soliman verlebt hatte. Lange Monate lagen zwischen jetzt und der Zeit, in der sie gewahr werden würde, was diese Nacht in Wirklichkeit zu bedeuten gehabt habe. Solange aber war es das Klügste, ja das einzig Richtige, sich so unsichtbar und unhörbar wie nur möglich zu machen - sich gleichsam totzustellen.
    Doch ihre Erinnerungen waren nicht tot. Und um ihnen zu entfliehen, las sie. Immer wieder jedoch führte sie das, was sie las, auf Umwegen zu dem zurück, dem sie entfliehen wollte: zu Soliman.
    Denn nicht Dante und nicht den unverwüstlichen Seneca las sie, der sich wieder einmal internationaler Beliebtheit erfreute, und nicht Solimans Lieblingslektüre vom Leben Alexanders des Großen in der persischen Darstellung des Nizami. Was sie las, war marktgängige Schriftstellerei, waren Flugblätter aus Florenz, Venedig, Augsburg oder Frankfurt am Main.
    Lateinisch und italienisch konnte sie selbst. Für die Übersetzung der andern Blätter aber war ihr von Dede Semid ein sprachkundiger Grieche empfohlen worden. Gerade überflog sie die erste Probe seines Könnens, eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Italienische. Und da mußte sie doch lachen!
    Es handelte sich um ein anonymes Flugblatt aus einer kleinen Mainzer Offizin und betitelte sich im Original: ,Umständliche Beschreybung Türkischer Kriegs=Kayßer wunderbarlich prächtiger Hoff-haltung nebst Sitten und Gewohnheyten Derer Aga und Fiawen und gesambter Hochkayßerlicher Familiae.'
    Wenn der Verfasser sich aber wirklich, wie er behauptete, in Konstantinopel aufgehalten hatte, so konnte er dort höchstens so etwas wie ein weggelaufener Matrose gewesen sein. Vom Neuen Serail hatte er jedenfalls genauso viel Ahnung wie Roxelane von den Hieroglyphen, nämlich gar keine. So schrieb er zum Beispiel von der Gefangenschaft der armen Haremsweiber, und das war es auch, worüber Roxelane so lachen mußte, weil sie daran dachte, daß in diesem Augenblick Nino und die Kammerfrau Umma wahrscheinlich bei den Bücherbuden des Basars stehen und auf der Suche nach Landkarten von Kleinasien, der Ägäis und vor allem von Rhodos sämtliche Stände durcheinanderbringen würden.
    Den Harem zu verlassen und in die Stadt zu gehen, war durchaus nicht so schwer. Alle Hofmeisterinnen bis zu den Gouvernanten hinunter und alle Persönlichkeiten vom Range einer Hanum aufwärts konnten dazu die Erlaubnis oder den Auftrag erteilen. Die Begleitung einer älteren Dienerin, wie es die Umma war, genügte vollkommen. Und für große Damen, denen das zu bescheiden war, stand immer eine ausreichende Zahl von Eunuchen bereit, ganz abgesehen von dem Aufwand der Prinzessinnen in solchen Fällen.
    Für Damenbesuche von außerhalb gar und für Händlerinnen, die ein und aus gingen, gab es im Harem überhaupt keine Hindernisse. Daran hätte selbst der Sultan nichts ändern können.
    Wenn der Padischah buchstäblich allein die Gänge des Harems durchschritt, war er schon froh, daß der Laut seiner Schuhsohlen, die der Klangverstärkung wegen mit silbernen Nägeln beschlagen waren, alles Weibliche vor ihm verscheuchte. Schon von weitem sollte man ihn hören, damit er nur ja nicht etwa durch eine Begegnung oder das unfreiwillige Erhorchen eines Gesprächsfetzens in Verlegenheit geraten könne. Sich nun aber gar seinerseits um die großen und kleinen Angelegenheiten der Damen zu kümmern - das hätte ihm gedeucht, als solle er sich nackt in einen Ameisenhaufen setzen.
    Außerdem wäre es auch anstößig gewesen, und im Basar und in den Bädern hätte es ein übles, gefährliches Gelächter gegeben.
    Ein Sultan durfte sich nicht zum Narren machen.
    Nein: Im Vergleich hierzu sah das, was Dede Semid und andere von christlichen Sitten erzählten, schon weit eher nach Gefangenschaft der Weiber von Stand aus. Allerdings hatten es die Damen des Abendlandes auch viel nötiger,

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