Roxelane
Roxelane scharf ins Auge, zu welcher Sorte von Mädchen sie wohl gehöre, ob zu denen, die noch Prügel bekommen, oder schon zu denen, die sie bereits austeilen?
Jedenfalls wollte er seine Frage so verstanden wissen: „Hast du auch noch Diktat?“ prüfte er sie und fügte, da ihre Antwort zu unbestimmt lautete, deutlicher werdend hinzu: „Und wenn du faul bist, kriegst du es dann auch mit der Rute?“
„Natürlich muß man fleißig sein“, erwiderte Roxelane, um seine Erziehung bemüht.
Worauf der Kleine aber nur kameradschaftlich meinte: „Sag nur ruhig, daß du es auch noch kriegst.“
Und da sie einsah, daß diese Annahme sein Vertrauen zu ihr nur stärke, verzichtete sie auf jede weitere Aufklärung.
Etwas anderes lag ihr am Herzen.
„Wer bist du nun?“ fragte sie, obwohl sie es ziemlich gut wußte. „Ich bin Sultan Mustafa Khan“, sagte er würdevoll, „und eigentlich könntest du Kaiserliche Hoheit zu mir sagen.“
Damit übertrieb der junge Herr auch keineswegs. Wie jede Prinzessin als Sultana geboren wurde, so hatten alle Prinzen die Titel Sultan und Khan, nur daß der Titel ,Sultana' hinter dem Namen und der Titel ,Sultan' vor ihm zu stehen kam. Nur die Titel eines Padischahs und Khankhans, eines Kaisers, waren dem regierenden Sultan Vorbehalten. Und da stand nun des Kaisers Sohn.
Roxelane kniete nieder und umschlang ihn.
„Mußt du denn zu Beig? Bleib doch bei mir!“ warb sie um ihn. „Wir verstecken uns zusammen. Beig Hanum wohnt nämlich gar nicht mehr hier. Und jetzt bin ich hier zu Hause.“
Der kleine Junge machte seine Nase kraus, weil er nachdenken mußte. Offenbar fiel ihm das gar nicht so leicht. Denn schließlich war Beig Hanum eine Macht, die ihm Schutz geben konnte. Was aber war das rothaarige Mädchen?
„Dich suchen sie wohl auch?“ fragte er, ohne daß sich freilich mit der Frage irgendwelche Mißachtung verband; denn gleichzeitig spendete er ritterlichen Trost: „Mach dir nichts draus!“ sagte er. „Wenn sie uns finden, verteidige ich dich!“
Er sei schrecklich tapfer, bewunderte ihn Roxelane.
„Wenn wir uns zusammen verstecken wollen“, überhörte er vornehm ihr Lob, „brauchst du mich nicht Hoheit zu nennen. Meine Mutter nennt mich Musa. Du kannst mich aber auch Safi nennen oder wie du sonst willst. Sie nennen mich ja doch alle anders.“
„Und wie nennt dich dein Vater?“
„Du darfst nicht einfach ,dein Vater' zu mir sagen“, rügte er. „Sprich: ,Seine Erhabenheit' oder ,der Kaiser'.“
„Und wie nennt dich der Kaiser?“
„,Mustafa Khan' nennt er mich oder auch ,mein Sohn'.“
Das sieht ihm ähnlich, dachte Roxelane belustigt, und zugleich übermannte sie eine wilde Zärtlichkeit zum kleinen Mustafa. Nennt der doch diesen süßen Jungen ,mein Khan'!
Und da Roxelane nicht einsah, warum sie ihrer Regung nicht folgen sollte, küßte sie Seine Hoheit regelrecht ab.
Sehr ermutigt wurde sie allerdings nicht.
„Du sollst mich nicht küssen!“ sträubte sich Mustafa Khan. „Es ist schon schlimm genug, wenn Beig das tut, so naß wie das dann immer ist! Aber Beig ist meine Amme, und da darf sie es. Aber du! Du bist ein Mädchen und nicht meine Amme. Und ich lasse mich von Mädchen nicht küssen!“
Doch Roxelane ließ sich von Solimans Sohn nicht einschüchtern. „Und deine Mutter?“ griff sie ihn an. „Die küßt dich wohl auch nicht, was?“
„Meine Mutter ist eine Königin“, wehrte er sich aber hoheitsvoll, gleichsam um anzudeuten, daß küssen unköniglich sei.
Dennoch: ob königlich oder nicht - an diesem Nachmittag wurde die Freundschaft zwischen Roxelane und Mustafa geschlossen.
Roxelane nannte er sie allerdings nicht. Er nannte sie Rosska. Und sie wußte ihm erstaunliche Dinge zu erzählen von aufgeblasenen Tierfellen, von Katzen und Fischen und hunderterlei, was ihm wichtiger war als alle Vokabeln.
Und zuletzt ließ er sich doch noch küssen, und darauf erklärte er ihr, daß er sie, wenn er erst groß sei, in seinen Harem nehmen und ihr so viel Konfekt geben werde, daß sie überhaupt niemals mehr etwas anderes essen müsse. Und Persisch brauche sie dann auf keine Weise mehr zu lernen, fügte er noch beschützerisch hinzu, und ebensowenig solle sie sich künftig noch jemals fürchten. Denn morgen komme er ja wieder! - Es war eine große Liebe zwischen Roxelane und Mustafa.
12
Inzwischen verlief in Kawak alles genauso, wie es vorgesehen war. Auch der Diwan im Sattel fand statt, und es geschah jede Sache auf die gehörige
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