Rubinrot
mittendrin!«
Ja. Ich steckte mittendrin. So eine Scheiße.
Leslie hatte recht: Es gab keinen Grund anzunehmen, dass meine Mum mir nicht glauben würde. Meine »Geistergeschichten« hatte sie sich auch von jeher mit gebührendem Ernst angehört. Ich hatte immer zu ihr kommen können, wenn mich etwas geängstigt hatte.
Als wir noch in Durham gewohnt hatten, war ich monatelang vom Geist eines Dämons verfolgt worden, der eigentlich als steinerner Wasserspeier auf den Dächern der Kathedrale seinen Dienst hätte verrichten müssen. Sein Name war Asrael und er sah aus wie eine Mischung aus Mensch, Katze und Adler. Als er bemerkt hatte, dass ich ihn sehen konnte, war er so entzückt gewesen, endlich mit jemandem reden zu können, dass er auf Schritt und Tritt hinter mir herrannte oder -flog, mich vollquatschte und nachts sogar in meinem Bett schlafen wollte. Nachdem ich meine anfängliche Angst überwunden hatte - Asrael war wie alle Wasserspeier mit einer ziemlich gruseligen Fratze ausgestattet -, waren wir allmählich Freunde geworden. Leider hatte Asrael nicht von Durham mit nach London ziehen können und er fehlte mir immer noch. Die wenigen Wasserspeier-Dämonen, die ich hier in London gesehen hatte, waren eher unsympathische Wesen, bis jetzt hatte ich jedenfalls noch keinen getroffen, der Asrael das Wasser hätte reichen können.
Wenn Mum mir Asrael geglaubt hatte, würde sie die Zeitreise wohl auch glauben. Ich wartete auf einen günstigen Augenblick, um mit ihr zu sprechen. Aber irgendwie wollte der günstige Augenblick nicht so recht kommen. Kaum war sie von der Arbeit nach Hause gekommen, musste sie mit meiner Schwester Caroline diskutieren, weil Caroline sich dafür eingetragen hatte, während der Sommerferien das Klassenterrarium in Obhut zu nehmen, inklusive des Klassenmaskottchens, eines Chamäleons namens Mr Bean. Obwohl es bis zu den Sommerferien noch mehrere Monate hin war, ließ sich die Diskussion offenbar nicht aufschieben.
»Du kannst Mr Bean nicht in Pflege nehmen, Caroline! Du weißt genau, dass deine Großmutter Tiere im Haus verboten hat«, sagte Mum. »Und Tante Glenda ist allergisch.«
»Aber Mr Bean hat gar kein Fell«, sagte Caroline. »Und er bleibt die ganze Zeit in seinem Terrarium. Er stört keinen.«
»Er stört deine Großmutter!«
»Dann ist meine Großmutter blöd!«
»Caroline - es geht nicht! Hier hat auch niemand Ahnung von einem Chamäleon. Stell dir nur vor, wir würden was falsch machen und Mr Bean würde krank werden und sterben!«
»Das würde er nicht. Ich weiß, wie man sich um ihn kümmert. Bitte, Mummy! Lass mich ihn nehmen! Wenn ich ihn nicht nehme, nimmt ihn wieder Tess und die gibt immer so an, dass sie Mr Beans Lieblingskind wäre.«
»Caroline, nein!«
Eine Viertelstunde später diskutierten sie immer noch, auch als Mum ins Badezimmer ging und die Tür hinter sich abschloss. Caroline stellte sich davor auf und rief: »Lady Arista müsste ja nichts davon merken. Wir könnten das Terrarium ins Haus schmuggeln, wenn sie nicht da ist. Sie kommt doch so gut wie nie in mein Zimmer.«
»Kann man hier nicht wenigstens auf dem Klo mal seine Ruhe haben?«, rief Mum.
»Nein«, sagte Caroline. Sie konnte eine fürchterliche Nervensäge sein. Sie hörte erst auf zu quengeln, als Mum versprach, sich höchstpersönlich bei Lady Arista für den Ferienaufenthalt von Mr Bean in unserem Haus zu verwenden.
Die Zeit, die Caroline und Mum mit ihrer Diskussion verplemperten, nutzte ich, um meinem Bruder Nick Kaugummi aus den Haaren zu entfernen.
Wir saßen im Nähzimmer. Er hatte ungefähr ein halbes Pfund von dem Zeug auf dem Kopf kleben, konnte sich aber nicht erinnern, wie es da hingekommen war.
»Das muss man aber doch merken!«, sagte ich. »Ich muss dir leider ein paar Strähnen abschneiden.«
»Macht nichts«, sagte Nick. »Du kannst die anderen gleich mit abschneiden. Lady Arista hat gesagt, ich sähe aus wie ein Mädchen.«
»Für Lady Arista sehen alle wie ein Mädchen aus, deren Haare länger als ein Streichholz sind. Bei deinen schönen Locken wäre es eine Schande, sie so kurz zu scheren.«
»Die wachsen ja wieder. Schneid sie alle ab, ja?«
»Das geht nicht mit einer Nagelschere. Dafür musst du zum Friseur.«
»Du kannst das schon«, sagte Nick vertrauensvoll. Er hatte offenbarvollkommen vergessen, dass ich ihm schon einmal mit einer Nagelschere die Haare geschnitten hatte und dass er damals ausgesehen hatte wie ein frisch geschlüpftes Geierküken.
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