Rubinrot
Ich war sieben, er vier Jahre alt gewesen. Ich hatte seine Locken gebraucht, weil ich mir eine Perücke daraus hatte basteln wollen. Das hatte allerdings nicht geklappt, dafür hatte ich aber einen Tag Hausarrest aufgebrummt bekommen.
»Untersteh dich«, sagte Mum. Sie war ins Zimmer gekommen und nahm mir sicherheitshalber die Schere aus der Hand. »Wenn überhaupt, dann macht das ein Friseur. Morgen. Jetzt müssen wir zum Abendessen nach unten.«
Nick stöhnte.
»Keine Sorge, Lady Arista ist heute nicht da!« Ich grinste ihn an. »Niemand wird wegen des Kaugummis meckern. Oder wegen des Flecks auf deinem Sweatshirt.«
»Was für ein Fleck?« Nick sah an sich herab. »Oh, Mist, das muss Granatapfelsaft sein. Hab ich gar nicht bemerkt.« Der arme Kleine, er kam ganz auf mich.
»Wie gesagt, niemand wird schimpfen.«
»Aber heute ist doch gar nicht Mittwoch!«, sagte Nick.
»Sie sind trotzdem weggefahren.«
»Cool.«
Wenn Lady Arista, Charlotte und Tante Glenda dabei waren, war das Dinner immer eher eine anstrengende Angelegenheit. Lady Arista kritisierte vor allem Carolines und Nicks Tischmanieren (manchmal auch die von Großtante Maddy), Tante Glenda erkundigte sich ständig nach meinen Schulnoten, um sie dann mit Charlottes zu vergleichen, und Charlotte lächelte wie Mona Lisa und sagte: »Das geht euch nichts an«, wenn man sie etwas fragte.
Alles in allem hätten wir auf diese abendlichen Versammlungen also gut verzichten können, aber unsere Großmutter bestand darauf, dass jeder teilnahm.
Nur wer eine ansteckende Krankheit hatte, war entschuldigt. Zubereitet wurde das Essen von Mrs Brompton, die montags bis freitags ins Haus kam und sich neben dem Essen auch um die Wäsche kümmerte. (An den Wochenenden kochten entweder Tante Glenda oder Mum. Essen vom Pizzadienst oder vom Chinesen gab es zu Nicks und meinem Kummer nie.)
An den Mittwochabenden, wenn Lady Arista, Tante Glenda und Charlotte ihren Mysterien nachgingen, war das Dinner deutlich entspannter. Und wir fanden alle herrlich, dass heute, obwohl erst Montag, schon Mittwochsverhältnisse herrschten. Nicht dass wir dann laut schlürften, schmatzten und rülpsten, aber wir trauten uns durcheinanderzureden, die Ellenbogen auf den Tisch zu legen und Themen zu erörtern, die Lady Arista unpassend fand.
Chamäleons zum Beispiel.
»Magst du Chamäleons, Tante Maddy? Würdest du nicht gerne mal eins haben wollen? Ein ganz zahmes?«
»Also, Ähm, eigentlich, doch ja, wo du es jetzt so sagst, da merke ich, dass ich wirklich schon immer mal ein Chamäleon haben wollte«, sagte Großtante Maddy und häufte sich Rosmarinkartoffeln auf den Teller. »Unbedingt.«
Caroline strahlte. »Vielleicht geht dein Wunsch ja bald in Erfüllung.«
»Haben Lady Arista und Glenda etwas von sich hören lassen?«, erkundigte sich Mum.
»Deine Mutter hat am Nachmittag angerufen, um zu sagen, dass sie beim Abendessen nicht dabei sein werden«, sagte Großtante Maddy. »Ich habe in unser allen Namen unser großes Bedauern darüber ausgesprochen, ich hoffe, das war euch recht.«
»Oh ja.« Nick kicherte.
»Und Charlotte? Ist sie . . .?«, fragte Mum.
»Bis jetzt wohl nicht.« Großtante Maddy hob die Schultern. »Sie rechnen aber jeden Augenblick damit. Dem armen Mädchen ist unentwegt schwindelig und jetzt hat sie auch noch Migräne bekommen.«
»Sie ist wirklich zu bedauern«, sagte Mum. Sie legte ihre Gabel beiseite und starrte geistesabwesend auf die dunkle Täfelung unseres Esszimmers, die in etwa so aussah, als hätte jemand die Wände aus Versehen mit dem Boden verwechselt und dort Parkett verlegt.
»Was passiert denn, wenn Charlotte
gar nicht
in der Zeit springt?«, fragte ich.
»Früher oder später wird es passieren!«, imitierte Nick die salbungsvolle Stimme unserer Großmutter.
Alle außer Mum und mir lachten.
»Aber wenn es nicht passiert? Wenn sie sich vertan haben und Charlotte dieses Gen überhaupt gar nicht besitzt?«, fragte ich.
Diesmal äffte Nick Tante Glenda nach: »Gleich als Baby konnte man Charlotte ansehen, dass sie zu Höherem geboren wurde. Man kann sie mit euch gewöhnlichen Kindern gar nicht vergleichen.«
Wieder lachten alle. Außer Mum. »Wie kommst du denn darauf, Gwendolyn?« »Nur so . . .«Ich zögerte.
»Ich habe dir doch erklärt, dass da gar kein Irrtum möglich ist«, sagte Großtante Maddy.
»Ja, weil Isaac Newton ein Genie ist, das sich nicht verrechnet, ich weiß«, sagte ich. »Warum hat Newton denn Charlottes
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