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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Unverfängliches, Neutrales zu denken, aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Schließlich zählte ich von tausend an rückwärts.
    Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein, denn ich hatte von einem großen Vogel geträumt, als ich aufwachte und mich mit laut klopfendem Herzen aufsetzte.
    Da war es wieder, dieses widerliche Schwindelgefühl im Magen. Panisch sprang ich aus dem Bett und lief, so schnell es mir mit den weichen Knien möglich war, zu meiner Mum hinüber. Es war mir egal, ob sie mich für verrückt halten würde, ich wollte nur, dass es aufhörte. Und ich wollte nicht drei Stockwerke tief in einen Sumpf fallen!
    Ich kam nur bis in den Flur, dann riss es mich von den Füßen. Überzeugt, mein letztes Stündchen sei gekommen, kniff ich fest die Augen zusammen. Aber ich fiel nur unsanft auf meine Knie und der Boden fühlte sich genauso an wie das vertraute Parkett. Ich öffnete vorsichtig die Augen. Es war heller geworden, als sei in der letzten Sekunde ganz plötzlich der Morgen heraufgedämmert. Für einen Moment hatte ich die Hoffnung, es sei gar nichts passiert, aber dann sah ich, dass ich zwar in unserem Flur gelandet war, aber dass er anders aussah als bei uns. Die Wände waren in einem dunklen Olivgrün gestrichen und es gab keine Lampen an der Decke.
    Aus Nicks Zimmer hörte ich Stimmen. Weibliche Stimmen.
    Ich stand schnell auf. Wenn mich jemand sehen würde ... - wie sollte ich erklären, wo ich plötzlich herkam? In einem
Hello-
Kitty-Pyjama.
    »Ich habe das frühe Aufstehen so satt«, sagte die eine Stimme. »Walter darf bis neun Uhr schlafen! Aber wir? Da hätte ich auch auf dem Bauernhof bleiben und weiter Kühe melken können.«
    »Walter hatte die halbe Nacht Dienst, Clarisse. Dein Häubchen sitzt schief«, sagte die zweite Stimme. »Steck die Haare ordentlicher darunter, sonst schimpft Mrs Mason.«
    »Die schimpft doch sowieso nur«, murrte die erste Stimme.
    »Es gibt weitaus strengere Hausdamen, meine liebe Clarisse. Komm jetzt, wir sind spät dran. Mary ist schon vor einer Viertelstunde nach unten gegangen.«
    »Ja, und sie hat sogar ihr Bett gemacht. Immer fleißig, immer sauber, genau wie Mrs Mason es will. Aber das tut sie mit Absicht. Hast du mal über ihre Decke gefühlt? Die ist ganz weich. Das ist ungerecht!«
    Ich musste schleunigst hier weg. Aber wohin? Gut, dass ich mich hier auskannte.
    »Meine Decke kratzt ganz fürchterlich«, beschwerte sich die Clarisse-Stimme.
    »Im Winter wirst du froh sein, dass du sie hast. Komm jetzt.«
    Die Klinke wurde heruntergedrückt. Ich hechtete zum Einbauschrank, riss die Tür auf und schloss sie wieder, genau in dem Moment, in dem Nicks Zimmertür aufging.
    »Ich sehe nur nicht ein, warum meine Decke kratzt, wo Mary doch so eine weiche hat«, sagte die Clarisse-Stimme. »Das ist hier alles so ungerecht. Betty darf mit Lady Montrose aufs Land fahren. Aber wir müssen den ganzen Sommer in der stickigen Stadt ausharren.«
    »Du solltest wirklich versuchen, ein bisschen weniger zu jammern, Clarisse.«
    Ich konnte der anderen Frau nur beistimmen. Diese Clarisse war wirklich ein kolossaler Jammerlappen.
    Ich hörte die beiden die Treppe hinuntergehen und atmete auf. Das war ganz schön knapp gewesen. Wie gut, dass ich mich hier auskannte. Aber was jetzt? Sollte ich einfach im Schrank warten, bis ich wieder zurücksprang? Das war vermutlich das Sicherste. Mit einem Seufzer verschränkte ich die Arme vor der Brust.
    Hinter mir in der Dunkelheit stöhnte jemand.
    Ich erstarrte vor Schreck. Was um Himmels willen war das?
    »Clarisse, bist du das?«, fragte es aus dem Wäscheregal. Es war eine männliche Stimme. »Habe ich verschlafen?«
    Himmel! Da schlief tatsächlieh jemand im Schrank. Was waren denn das für Sitten?
    »Clarisse? Mary? Wer ist denn da?«, fragte die Stimme, diesmal deutlich wacher. Es rumorte im Dunkeln. Eine Hand tastete nach mir und fasste mir an den Rücken. Ich wartete nicht, bis sie mich packen konnte, sondern öffnete die Schranktür und floh.
    »Halt! Stehen geblieben!«
    Ich sah kurz über die Schulter. Ein jüngerer Mann mit einem langen weißen Hemd kam mir aus dem Schrank hinterhergesprungen.
    Ich rannte die Treppe hinunter. Wo um Himmels willen sollte ich mich denn jetzt verstecken? Die Schritte des Schrankschläfers donnerten hinter mir her und er brüllte dabei: »Haltet den Dieb!«
    Dieb? Ich hörte wohl nicht recht! Was sollte ich ihm denn gestohlen haben? Seine Schlafmütze vielleicht?
    Wie gut, dass ich

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