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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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gestern Nacht von diesem Mann verfolgt worden wäre, der in unserem Einbauschrank geschlafen hat«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass ihre Tanz- und Fechtstunden ihr in dieser Situation geholfen hätten. Und da war auch weit und breit kein Pferd, auf dem sie hätte davonpreschen können.«
    Ich kicherte, weil ich mir Charlotte vorstellte, wie sie an meiner Stelle vor dem wilden Walter aus dem Schrank durch das Haus geflohen wäre. Vielleicht hätte sie sich einen Degen von der Wand im Salon gegriffen und damit ein Gemetzel unter den armen Dienstleuten angerichtet.
    »Nein, du Dummerchen. Aber ihr wäre das ja gar nicht erst passiert, weil sie rechtzeitig mit diesem Chronodingens woandershin gereist wäre. Irgendwohin, wo es friedlich und nett ist. Wo ihr nichts passieren kann! Aber du riskierst ja lieber dein Leben, als deiner Familie zu erzählen, dass sie die falsche Person unterrichtet haben.«
    »Vielleicht ist Charlotte ja in der Zwischenzeit auch in der Zeit gesprungen. Dann haben sie doch, was sie wollen.«
    Leslie seufzte und begann den Blätterstapel auf ihrem Schoß zu wälzen. Sie hatte eine Art Akte für mich angelegt mit lauter nützlichen Informationen. Oder auch weniger nützlichen. So hatte sie zum Beispiel Fotos von Oldtimern ausgedruckt und das Baujahr daneben geschrieben. Demnach war der Oldtimer, den ich bei meiner ersten Zeitreise gesehen hatte, aus dem Jahr 1906.
    »Jack The Ripper hat im East End sein Unwesen getrieben. Das war 1888. Dummerweise hat man nie herausgefunden, wer es war. Man hatte alle möglichen Typen im Verdacht, aber man konnte es keinem nachweisen. Also, falls du dich mal ins East End verirren solltest: 1888 ist jeder Mann potenziell gefährlich. Der große Brand von London war 1666, Pest gab es quasi die ganze Zeit, 1348, 1528 und 1664 war es aber besonders schlimm. Dann: die Bombardements im Zweiten Weltkrieg. 1940 fing's an, ganz London lag in Trümmern. Du musst herausfinden, ob euer Haus unbeschädigt geblieben ist, wenn ja, bist du dort ja sicher. Ansonsten wäre St. Paul's Cathedral ein guter Ort, weil die zwar mal getroffen wurde, aber wie durch ein Wunder stehen blieb. Vielleicht könnte man sich dort einfach unterstellen.«
    »Klingt alles furchtbar gefährlich«, sagte ich.
    »Ja, ich hab's mir auch immer irgendwie romantischer vorgestellt. Weißt du, ich dachte, Charlotte erlebt da sozusagen ihre eigenen Historienfilme. Tanzt mit Mr Darcy auf einem Ball. Verliebt sich in einen sexy Highländer. Sagt Anne Boleyn, dass sie Heinrich VIII. auf keinen Fall heiraten soll. So was halt.«
    »War Anne Boleyn die, die sie geköpft haben?«
    Leslie nickte. »Es gibt da einen tollen Film mit Natalie Portman. Ich könnte uns die DVD ausleihen . .. Gwen, bitte versprich mir, dass du heute mit deiner Mutter redest.«
    »Ich verspreche es. Gleich heute Abend.«
    »Wo ist eigentlich Charlotte?« Cynthia Dale steckte ihren Kopf hinter dem Baumstamm hervor. »Ich wollte den Shakespeare-Aufsatz von ihr abschreiben. Ähm, ich meine, ich wollte mir ein paar Anregungen holen.«
    »Charlotte ist krank«, sagte ich.
    »Was hat sie denn?«
    »Äh . . .«
    »Durchfall«, sagte Leslie. »Ganz fiesen Durchfall. Sitzt die ganze Zeit auf dem Klo.«
    »Igitt, keine Einzelheiten bitte«, sagte Cynthia. »Kann ich dann mal eure Aufsätze sehen?«
    »Wir haben die auch noch nicht fertig«, sagte Leslie. »Wir wollen uns noch
Shakespeare in Love
auf DVD anschauen.«
    »Du kannst meinen Aufsatz lesen«, mischte sich Gordon Gelderman in tiefstem Bass ein. Sein Kopf erschien auf der anderen Seite des Baumstammes. »Alles bei
Wikipedia
abgepinselt.«
    »Da kann ich ja auch gleich zu
Wikipedia
gehen«, sagte Cynthia. Die Pausenglocke ertönte.
    »Doppelstunde Englisch«, stöhnte Gordon. »Eine Strafe für jeden Mann. Aber Cynthia sabbert jetzt schon, wenn sie an Prince Charming denkt.«
    »Halt den Mund, Gordon.«
    Aber Gordon hielt bekanntlich niemals seinen Mund. »Ich weiß gar nicht, warum ihr Mr Whitman alle so toll findet. Der ist doch stockschwul.«
    »Unsinn!«, sagte Cynthia und stand empört auf.
    »Und ob der schwul ist.« Gordon folgte ihr zum Eingang. Er würde bis in den zweiten Stock auf Cynthia einreden, das konnte er, ohne auch nur einmal Luft holen zu müssen.
    Leslie verdrehte die Augen. »Komm!«, sagte sie und reichte mir ihre Hand, um mich von der Bank hochzuziehen. »Auf zu Prince Charming Eichhörnchen.«
    Auf der Treppe im zweiten Stock holten wir Cynthia und Gordon wieder ein.

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