Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
Sie sprachen immer noch über Mr Whitman.
    »Das sieht man doch schon an dem bekloppten Siegelring«, sagte Gordon. »So was tragen nur Schwule.«
    »Mein Großvater trug auch immer einen Siegelring«, sagte ich, obwohl ich mich eigentlich gar nicht einmischen wollte.
    »Dann ist dein Großvater eben auch schwul«, sagte Gordon.
    »Du bist ja nur neidisch«, sagte Cynthia.
    »Neidisch? Ich? Auf dieses Weichei?«
    »Jawohl. Neidisch. Weil Mr Whitman einfach der bestaussehende, männlichste, klügste heterosexuelle Mann ist, den es überhaupt gibt. Und weil du neben ihm einfach nur wie ein mickriger, dummer, kleiner Junge wirkst.«
    »Herzlichen Dank für das Kompliment«, sagte Mr Whitman. Er war unbemerkt hinter uns aufgetaucht, einen Stapel Blätter unter seinen Arm geklemmt und wie immer atemberaubend gut aussehend. (Wenn auch ein
bisschen
wie ein Eichhörnchen.)
    Cynthia wurde wenn möglich noch röter als knallrot. Sie tat mir ehrlich leid.
    Gordon grinste schadenfroh.
    »Und du, mein lieber Gordon, solltest vielleicht mal etwas über Siegelringe und ihre Träger recherchieren«, sagte Mr Whitman. »Bis nächste Woche hätte ich gern einen kleinen Aufsatz von dir zu diesem Thema.«
    Jetzt wurde Gordon auch rot. Aber im Gegensatz zu Cynthia konnte er immer noch sprechen. »Für Englisch oder für Geschichte?«, quietschte er.
    »Ich würde es begrüßen, wenn du die historischen Aspekte in den Vordergrund stellen würdest, aber ich lasse dir da völlig freie Hand. Sagen wir, fünf Seiten bis nächsten Montag?« Mr Whitman öffnete die Tür zu unserem Klassenzimmer und lächelte uns strahlend an. »Darf ich bitten?«
    »Ich hasse ihn«, murmelte Gordon, während er auf seinen Platz ging.
    Leslie klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.«
    »Bitte sag, dass ich gerade nur geträumt habe«, sagte Cynthia.
    »Du hast nur geträumt«, sagte ich wunschgemäß. »In Wirklichkeit hat Mr Whitman kein Wort davon gehört, dass du ihn für den sexiest man alive hältst.«
    Cynthia ließ sich stöhnend auf ihren Stuhl sinken. »Erdboden, tu dich auf und verschlinge mich!«
    Ich setzte mich auf meinen Platz neben Leslie. »Die Arme sieht immer noch aus wie eine Tomate.«
    »Ja, ich schätze, eine Tomate wird sie auch bis ans Ende ihrer Schulzeit bleiben. Mann, war das peinlich.«
    »Vielleicht gibt Mr Whitman ihr jetzt aber bessere Noten.«
    Mr Whitman sah auf Charlottes Platz und machte dabei ein nachdenkliches Gesicht.
    »Mr Whitman? Charlotte ist krank«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob meine Tante im Sekretariat angerufen hat. . .«
    »Sie hat Durchfall«, blökte Cynthia. Offensichtlich war es ihr ein dringendes Bedürfnis, nicht die Einzige zu sein, der etwas peinlich sein musste.
    »Charlotte ist entschuldigt«, sagte Mr Whitman. »Sie wird wahrscheinlich einige Tage fehlen. Bis sich alles... normalisiert hat.« Er drehte sich um und schrieb mit Kreide
Das Sonett
an die Tafel. »Weiß jemand, wie viele Sonette Shakespeare geschrieben hat?«
    »Was hat er mit
normalisieren
gemeint?«, flüsterte ich Leslie zu.
    »Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck, dass er über Charlottes Durchfall gesprochen hat«, flüsterte Leslie zurück.
    Ich auch nicht.
    »Hast du dir seinen Siegelring mal genauer angeschaut?«, flüsterte Leslie. »Nein, du denn?«
    »Da ist ein Stern drauf. Ein Stern mit zwölf Zacken!« »Na und?«
    »Zwölf Zacken - wie bei einer Uhr.« »Eine Uhr hat doch keine Zacken.«
    Leslie verdrehte die Augen. »Klingelt da gar nichts bei dir? Zwölf! Uhr! Zeit!
Zeit-Reisen!
Ich wette mit dir ... - Gwen?«
    »Ach Scheiße!«, sagte ich. Mein Magen fuhr mal wieder Achterbahn.
    Leslie starrte mich entsetzt an. »Oh nein!«
    Ich war genauso entsetzt. Das Letzte, was ich wollte, war, mich vor den Augen meiner Klassenkameraden in Luft aufzulösen. Also stand ich auf und wankte zur Tür, die Hand auf den Magen gepresst.
    »Ich glaube, ich muss mich übergeben«, sagte ich zu Mr Whitman, wartete aber seine Antwort nicht ab, sondern riss die Tür auf und taumelte in den Korridor hinaus.
    »Vielleicht sollte jemand hinterhergehen«, hörte ich Mr Whitman sagen. »Leslie, würdest du bitte?«
    Leslie kam mir nachgestürzt und schloss die Klassentür mit Nachdruck. »Okay, schnell! In die Toilette, da sieht uns niemand. Gwen? Gwenny?«
    Leslies Gesicht verschwamm vor meinen Augen, ihre Stimme hörte sich an, als käme sie aus weiter Ferne. Und dann war sie ganz verschwunden. Ich

Weitere Kostenlose Bücher