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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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stand allein in einem Korridor, der mit prächtigen goldbemalten Tapeten versehen war. Unter meinen Füßen erstreckte sich anstelle der strapazierfähigen Travertin-platten wunderschönes Parkett, glänzend poliert, mit kunstvollen Intarsien versehen. Es war offensichtlich Nacht oder wenigstens Abend, aber an den Wänden leuchteten Kerzenhalter mit brennenden Kerzen und von den bemalten Decken herab hingen Kronleuchter, ebenfalls mit brennenden Kerzen bestückt. Alles war in weiches goldenes Licht getaucht.
    Mein erster Gedanke war:
Super, ich bin nicht hingefallen.
Mein zweiter:
Wo kann ich mich hier verstecken, bevor mich jemand sieht?
    Denn ich war nicht allein in diesem Haus. Von unten ertönte Musik, Geigenmusik. Und Stimmen. Ziemlich viele Stimmen.
    Von meinem vertrauten Schulflur im zweiten Stockwerk der Saint Lennox High School war nicht mehr viel wiederzuerkennen. Ich versuchte, mir die Raumaufteilung in Erinnerung zu rufen. Hinter mir, das war die Tür zu meinem Klassenzimmer, gegenüber gab Mrs Counter gerade Erdkundeunterricht in der sechsten Klasse. Daneben war ein Materialraum. Wenn ich mich dort versteckte, würde mich bei meiner Rückkehr wenigstens niemand sehen.
    Andererseits war der Materialraum meistens abgeschlossen und es war vielleicht doch keine gute Idee, mich dort zu verstecken. Wenn ich in einen verschlossenen Raum zurücksprang, musste ich mir eine wirklich plausible Erklärung dafür einfallen lassen, wie zur Hölle ich da hatte hinkommen können.
    Wenn ich aber in einen der anderen Räume ging, würde ich mich beim Zeitsprung zurück vor jeder Menge Schülern und einem Lehrer aus dem Nichts materialisieren. Dafür eine Erklärung zu finden, dürfte sich wohl noch schwieriger gestalten.
    Vielleicht sollte ich einfach in diesem Flur bleiben und hoffen, dass es nicht so lange dauern würde. Bei meinen beiden ersten Zeitsprüngen war ich ja auch immer nur ein paar Minuten weg gewesen.
    Ich lehnte mich gegen die Brokattapete und wartete sehnsüchtig auf das Schwindelgefühl. Von unten drangen Stimmengewirr und Gelächter nach oben, ich hörte Gläser klirren, dann spielten wieder die Geigen. Es klang, als hätte da unten jede Menge Leute jede Menge Spaß. Vielleicht war James ja auch dabei. Schließlich hatte er mal hier gewohnt. Ich stellte mir vor, dass er - höchst lebendig - irgendwo da unten war und zu der Geigenmusik tanzte.
    Schade, dass ich ihn nicht treffen konnte. Aber er wäre wohl kaum erfreut gewesen, wenn ich ihm gesagt hätte, woher wir uns kannten. Ich meine, irgendwann mal kennen würden, lange nachdem er gestorben war, Ähm, gestorben sein würde.
    Wenn ich wüsste, woran er gestorben wäre, könnte ich ihn vielleicht warnen.
Hey James, am 15. Juli wird dir in der Park Lane ein Ziegelstein auf den Kopf fallen, also bleib an dem Tag besser zu Hause.
Dummerweise wusste James aber nicht, woran er gestorben war. Er wusste ja noch nicht mal, dass er überhaupt gestorben war. Ähm, sterben würde. Gestorben sein würde.
    Je länger man über dieses Zeitreisezeugs nachdachte, desto komplizierter erschien es einem.
    Auf der Treppe hörte ich Schritte. Jemand kam hinaufgelaufen. Nein, das waren zwei Jemande. Mist! Konnte man denn nicht mal ein paar Minuten ganz friedlich irgendwo herumstehen? Wohin jetzt? Ich entschied mich für den Raum gegenüber, in meiner Zeit der Klassenraum der Sechsten. Der Griff der Tür klemmte, es dauerte ein paar Sekunden, bis ich begriff, dass man die Klinke nach oben drücken musste, nicht nach unten.
    Als ich endlich in den Raum schlüpfen konnte, waren die Schritte schon ganz nah. Auch hier drinnen brannten Kerzen in Leuchtern an der Wand. Wie leichtsinnig, sie unbeaufsichtigt brennen zu lassen! Ich bekam zu Hause schon Ärger, wenn ich abends mal vergaß, ein Teelicht im Nähzimmer auszupusten.
    Ich sah mich nach einem Versteck um, aber der Raum war nur kläglich möbliert. Es gab eine Art Sofa auf krummen vergoldeten Beinen, einen Schreibtisch, gepolsterte Stühle, nichts, wohinter man sich verstecken konnte, wenn man größer war als eine Maus. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich hinter einen der bodenlangen goldfarbenen Vorhänge zu stellen - kein besonders originelles Versteck. Aber noch suchte ja auch niemand nach mir.
    Draußen im Korridor hörte ich jetzt Stimmen.
    »Wo willst du hin?«, sagte eine Männerstimme. Sie klang ziemlich wütend.
    »Egal! Nur weg von dir«, antwortete eine andere Stimme. Es war die Stimme eines Mädchens,

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