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Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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man sogar die Themse in der Sonne glitzern sehen.
    Aber nicht nur der Ausblick und das Licht wirkten heiter, auch die Schnitzereien strahlten etwas Fröhliches aus, trotz vereinzelter gruseliger Fratzen und Totenköpfe. Es war, als würden die Wände leben. Leslie hätte ihre helle Freude daran gehabt, die täuschend echt aussehenden Rosenknospen, die archaischen Muster und die lustigen Tierköpfe abzutasten und auf geheime Mechanismen zu untersuchen. Da waren geflügelte Löwen, Falken, Sterne, Sonnen und Planeten, Drachen, Einhörner, Elfen, Feen, Bäume und Schiffe, eine Schnitzerei lebendiger als die andere.
    Am beeindruckendsten war der Drache, der an der Decke über uns zu schweben schien. Von seiner keilförmigen Schwanzspitze bis zu dem großen, schuppenbesetzten Kopf maß er bestimmt sieben Meter. Ich konnte kaum meine Blicke von ihm abwenden. Wie wunderschön das war! Vor lauter Staunen vergaß ich beinahe, weshalb wir hergekommen waren.
    Und dass wir nicht allein in diesem Saal waren.
    Alle Anwesenden schienen bei unserem Anblick wie vom Donner gerührt.
    »Es sieht so aus, als gäbe es Komplikationen«, sagte Mr George. Lady Arista, die stocksteif an einem der Fenster stand, sagte:
    »Grace! Müsstest du nicht bei der Arbeit sein? Und Gwendolyn in der Schule?«
    »Nichts wäre uns lieber, Mutter«, sagte Mum.
    Charlotte saß auf einem Sofa, gleich unter einer herrlichen Meerjungfrau, in deren Schwanzflossen jede Schuppe fein geschnitzt und in allen denkbaren Blau- und Türkistönen bemalt worden war. An einem breiten Kaminsims neben dem Sofa lehnte ein Mann im piekfeinen schwarzen Anzug mit einer schwarz umrandeten Brille. Sogar seine Krawatte war schwarz. Er sah uns ausgesprochen finster entgegen. Ein kleiner Junge von vielleicht sieben Jahren klammerte sich an seinem Jackett fest.
    »Grace!« Hinter einem Schreibtisch erhob sich ein großer Mann. Er hatte graue, gewellte Haare, die ihm, einer Löwenmähne gleich, bis auf die breiten Schultern fielen. Seine Augen waren von einem auffallenden hellen Braun, das an Bernstein erinnerte. Das Gesicht war viel jünger, als seine grauen Haare vermuten ließen, und es war eins dieser Gesichter, die man einmal sieht und nie wieder vergisst, weil es einen irgendwie faszinierte. Als der Mann lächelte, sah man seine ebenmäßigen weißen Zähne. »Grace. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.« Er kam um den Schreibtisch herum und reichte meiner Mum die Hand. »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
    Zu meiner Verblüffung errötete Mum. »Danke. Das Gleiche könnte ich auch von dir sagen, Falk.«
    »Ich bin grau geworden.« Der Mann machte eine abwehrende Geste.
    »Ich finde, dass es dir steht«, sagte Mum. Hallo? Flirtete sie etwa mit diesem Typ? Sein Lächeln vertiefte sich noch etwas, dann glitt sein bernsteinfarbener Blick von Mum zu mir und wieder fühlte ich mich unangenehm genau gemustert.
    Diese Augen waren wirklich seltsam. Sie hätten auch einem Wolf gehören können oder einer Raubkatze. Er streckte mir seine Hand hin. »Ich bin Falk de Villiers. Und du musst Grace' Tochter Gwendolyn sein.« Sein Händedruck war fest und herzlich. »Das erste Montrose-Mädchen, das ich kennenlerne, ohne rote Haare.«
    »Ich habe die Haarfarbe von meinem Vater geerbt«, sagte ich verlegen.
    »Könnten wir vielleicht zur Sache kommen?«, sagte der schwarze Mann mit Brille am Kamin.
    Falk de Villiers ließ meine Hand los und zwinkerte mir zu. »Bitte.«
    »Meine Schwester tischt uns eine ganz ungeheuerliche Story auf«, sagte Tante Glenda und man sah, welche Anstrengung es sie kostete, nicht zu schreien. »Und Mr George wollte nicht auf mich hören! Sie behauptet, Gwendolyn -
Gwendolyn! -
sei bereits dreimal in der Zeit gesprungen. Und - weil sie genau weiß, dass sie es nicht beweisen kann - hat sie gleich auch noch ein passendes Märchen aus dem Hut gezaubert, das das falsche Geburtsdatum erklären soll. Ich möchte daran erinnern, was vor siebzehn Jahren passiert ist und dass Grace damals wahrlich keine rühmliche Rolle gespielt hat. Jetzt, so kurz vor dem Ziel, wundere ich mich nicht, dass sie hier auftaucht, um unsere Sache zu sabotieren.«
    Lady Arista hatte ihren Platz am Fenster verlassen und kam näher. »Ist das wahr, Grace?« Ihre Miene sah aus wie immer, streng und unerbittlich. Manchmal fragte ich mich, ob die straff zurückgekämmten Haare der Grund dafür waren, dass ihre Gesichtszüge so regungslos waren. Vielleicht wurden die Muskeln einfach immer an

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