Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rubinrot

Rubinrot

Titel: Rubinrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
Sehr tragisch.« Er begann, im Raum auf und ab zu gehen. »Wann hat es begonnen, sagen Sie?«
    »Gestern«, sagte ich.
    »Dreimal in den letzten zwanzig Stunden«, sagte Mum. »Ich habe Angst um sie.«
    »Dreimal schon!« Mr George blieb stehen. »Und wann war das letzte Mal?«
    »Vor einer Stunde etwa«, sagte ich. »Glaube ich.« Seit die Ereignisse angefangen hatten, sich zu überschlagen, hatte ich jegliches Gefühl für Zeit verloren.
    »Dann hätten wir ein bisschen Luft, um alles vorzubereiten.«
    »Das können Sie unmöglich glauben«, sagte Tante Glenda. »Mr George! Sie kennen Charlotte. Und jetzt sehen Sie sich dieses Mädchen hier an und vergleichen Sie sie mit meiner Charlotte. Glauben Sie allen Ernstes, vor Ihnen steht die Nummer zwölf?
Rubinrot begabt mit der Magie des Raben, schließt G-Dur den Kreis, den zwölf gebildet haben.
Glauben Sie das?«
    »Nun, es besteht immerhin die Möglichkeit«, sagte Mr George. »Auch wenn mir Ihre Motive mehr als fragwürdig erscheinen, Mrs Shepherd.«
    »Das ist Ihr Problem«, sagte Mum kühl.
    »Wenn Sie Ihr Kind wirklich beschützen wollten, dann hätten Sie es nicht so viele Jahre in Unwissenheit lassen dürfen. Ohne jede Vorbereitung in der Zeit zu springen, ist sehr gefährlich.«
    Mum biss sich auf die Lippen. »Ich hatte eben gehofft, dass Charlotte diejenige wäre . . .«
    »Aber das ist sie ja auch!«, rief Tante Glenda. »Seit zwei Tagen hat sie eindeutige Symptome. Es kann jeden Augenblick passieren. Vielleicht passiert es gerade jetzt, während wir hier unsere Zeit damit vertrödeln, den vollkommen hanebüchenen Geschichten meiner eifersüchtigen kleinen Schwester zu lauschen.«
    »Vielleicht schaltest du zur Abwechslung einmal dein Gehirn ein, Glenda«, sagte meine Mum. Plötzlich klang sie müde. »Warum sollten wir denn so etwas erfinden? Wer außer dir würde denn seiner Tochter so etwas freiwillig antun?«
    »Ich bestehe darauf, dass ...«Tante Glenda ließ in der Luft hängen, worauf sie bestand. »Das wird sich alles als böswilliger Schwindel herausstellen. Es gab schon einmal Sabotage und Sie wissen ja, wohin das geführt hat, Mr George. Und jetzt, so kurz vor dem Ziel, können wir uns wirklich keine Patzer mehr erlauben.«
    »Ich denke, das haben nicht wir zu entscheiden«, sagte Mr George. »Folgen Sie mir bitte, Mrs Shepherd. Und du auch, Gwendolyn.« Mit einem kleinen Lachen setzte er hinzu: »Keine Angst, die esoterikbesessenen Pseudowissenschaftler und fanatischen Geheimniskrämer beißen schon nicht.«
     
Verfress'ne
Zeit! Schleif Löwenkrallen zahm,
    die Erde lass verschlingen ihre Brut,
    zieh scharfe Zähne aus des Tigers Schlund,
    den Phönix brenn in seinem eig'nen Blut.
     
    William Shakespeare, Sonett XIX
     

7.
    Wir wurden eine Treppe hinauf und durch einen langen Gang geführt, der mehrmals um fünfundvierzig Grad abknickte und manchmal ein paar Stufen aufwärts oder abwärts verlief. Der Ausblick aus den wenigen Fenstern, an denen wir vorbeikamen, war jedes Mal ein anderer: Mal schaute man in einen großen Garten, mal gegen ein anderes Gebäude oder in einen kleinen Hinterhof. Es war ein endlos langer Weg, abwechselnd über Parkett und steinerne Mosaikfußböden, vorbei an vielen geschlossenen Türen, Stühlen, die in endlosen Reihen an den Wänden aufgestellt waren, gerahmten Ölgemälden, Schränken voller ledergebundener Bücher und Porzellanfiguren, Statuen und Ritterrüstungen. Es sah aus wie in einem Museum.
    Tante Glenda warf Mum die ganze Zeit über giftige Blicke zu. Mum ihrerseits ignorierte ihre Schwester, so gut es ging. Sie war blass und sah extrem angespannt aus. Ich war drauf und dran, nach ihrer Hand zu greifen, aber dann hätte Tante Glenda gemerkt, wie viel Angst ich hatte, und das war das Letzte, was ich wollte.
    Wir konnten uns unmöglich noch im selben Haus befinden, meinem Gefühl nach waren wir mindestens durch drei weitere Häuser gewandert, als Mr George endlich stehen blieb und an eine Tür klopfte.
    Der Saal, in den wir traten, war vollständig mit dunklem Holz getäfelt, so ähnlich wie bei uns das Esszimmer. Auch die Decken waren aus dunklem Holz und alles war beinahe lückenlos mit kunstvollen, zum Teil farbig hervorgehobenen Schnitzereien versehen. Die Möbel waren ebenfalls dunkel und massiv. Es hätte düster und unheimlich wirken müssen, aber durch die hohen Fenster gegenüber strömte Tageslicht in den Raum und man sah auf einen blühenden Garten. Hinter einer Mauer am Ende des Gartens konnte

Weitere Kostenlose Bücher