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Rubinrotes Herz, eisblaue See

Rubinrotes Herz, eisblaue See

Titel: Rubinrotes Herz, eisblaue See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Callahan Rogers
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wie jeder einzelne Tropfen sich in den Winterschnee fraß. Das Licht vom Fenster spiegelte sich in Daddys Gesicht. Früher hatte es gestrahlt wie der Frühling, doch die Zeit hatte es in den dunklen, ledrigen Tönen des Spätherbstes gebeizt.
    »Hier zu sein erinnert mich an Carlie«, sagte ich. »Es bringt alles zurück.«
    »Ich weiß.«
    »Was glaubst du, was passiert ist, Daddy?«
    Er schaukelte ein wenig. »Tja, ich weiß es wirklich nicht. Es gibt eine winzige Chance, dass sie noch lebt, aber ich glaube nicht daran. Sie hätte dich nicht verlassen. Dazu hat sie dich viel zu sehr geliebt. Und da sie mir nie gesagt hat, dass sie mich nicht liebt, gehe ich mal davon aus, dass es auch nicht so war.«
    »Meinst du, sie war hier glücklich? Ich hab oft gehört, wie ihr euch gestritten habt, weil sie verreisen wollte, mal wegfahren.«
    »Ja, das war andauernd Thema«, sagte er. »Glaubst du vielleicht, ich bedaure es nicht, dass ich nie mit ihr verreist bin? Das hat mich schier zerrissen, nachdem sie fort war - all die Dinge, die ich nicht getan habe oder nicht tun wollte oder vor mir hergeschoben habe.«
    »Sie konnte nicht stillsitzen, so viel ist klar«, sagte ich.
    »Sie hatte keinen Platz, wo sie sich hinsetzen konnte.«
    Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. Offenbar sah man mir die Verwirrung an, denn Daddy sagte: »Das war nicht wörtlich gemeint. Ich meine, sie konnte sich nicht entspannen. Weißt du noch, wie du immer zu Grand gegangen bist, als ich nach ihrem Verschwinden so durchgedreht bin? Du hattest einen Platz, wo du hingehen konntest, von dem du wusstest, dass du willkommen warst. Wo du dich zu Hause gefühlt hast.«
    »Ja.«
    »Nun, Carlie hatte das nicht. Carlie hatte keinen Platz, wo sie sich einfach hinsetzen und sicher fühlen konnte. Von dem sie wusste, egal, was sie tut, es ist in Ordnung. So, wie sie aufgewachsen ist, war sie immer auf der Hut. Weißt du noch, wie wir mal bei ihren Eltern waren? Du warst noch ziemlich klein, wahrscheinlich hast du es vergessen.«
    »Nein, ich weiß es noch«, sagte ich. »Ich wollte Robin als Schwester haben.«
    »Erinnerst du dich an den Mann im Sessel?«
    »Der sich den Boxkampf angesehen hat?«
    Daddy sah mich erstaunt an. »Meine Güte, hast du ein Gedächtnis!«, sagte er, dann fuhr er fort: »Er war ein gemeiner Mistkerl. Hat sich ständig mit Carlie gestritten, als sie älter wurde. Wenn er betrunken war, hat er sie geschlagen und beschimpft. Die Mutter war keine große Hilfe. Wahrscheinlich war sie sogar eine nette Frau, aber sie hatte Angst vor ihm. Carlie ist abgehauen, wann immer sie konnte. Sie hat mir erzählt, dass sie oft aus ihrem Fenster auf das Dach der Veranda geklettert und dann runtergesprungen ist. Sie ist dauernd in der Stadt gewesen und hat sich jede Menge Ärger eingehandelt.«
    »Das habe ich wohl von ihr geerbt«, sagte ich.
    »Als sie sechzehn war, ist sie von irgendeinem Jungen aus der Stadt schwanger geworden.« Er senkte den Blick, als er das sagte. Vielleicht betrachtete er seine Füße, die reglos auf dem Boden blieben, während sein Körper hin und her schaukelte. Ich dachte: Ich habe irgendwo auf der Welt einen Bruder oder eine Schwester. Ich rechnete nach. Ich war siebzehn, also musste meine Schwester oder mein Bruder um die zwanzig sein. »Was ist aus dem Kind geworden?«, fragte ich.
    »Sie hat es verloren«, sagte er. Mir sank das Herz. »Im sechsten Monat hat sie Wehen bekommen und ein totes Baby geboren.«
    »Wie ist das passiert?«
    Daddy schaukelte und sah aus dem Fenster. »Als sie schwanger wurde, hat ihr Vater sie übel beschimpft. Sie war ein nichtsnutziges Stück Dreck, eine Hure und so weiter. Sie musste die Schule abbrechen. Blieb zu Hause und versteckte sich. Niemand durfte was davon wissen. Kaum jemand im Haus hat mit ihr geredet - sie ging ihrem Vater aus dem Weg, blieb in ihrem Zimmer. Und du weißt, wie gern deine Mutter unter Menschen war. Das muss sie halb wahnsinnig gemacht haben. Eines Abends hielt sie es nicht mehr aus und kletterte aufs Dach, wollte in die Stadt. Mal rauskommen. Es war mitten im Winter, sie ist ausgerutscht und gefallen. Dann fingen die Wehen an. Sie traute sich nicht, um Hilfe zu rufen. Sie hat das Baby da draußen gekriegt. Es war tot.
    Danach hat sie nur noch gewartet, gearbeitet und Geld gespart, um da wegzukommen. Als sie genug zusammenhatte, hat sie sich Petunia gekauft, ihre Sachen gepackt und ist abgehauen. Dann ist sie hier gelandet, und den Rest kennst du. Ihr Vater

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