Rubinrotes Herz, eisblaue See
gesetzt hast, kommt keiner dagegen an, das weiß ich.«
»Ich musste einfach wieder hierher zurück.«
Der Kessel pfiff, und Bud ging wieder in die Küche. Er brachte mir Grands Lieblingsbecher aus weißer Keramik, der innen von feinen, braun gefärbten Rissen durchzogen war. Ich trank einen Schluck von dem Tee. Er war stark, süß und milchig, genau wie ich ihn mochte. »Wie geht’s Susan?«, fragte ich.
»Gut. Sie überlegt, auf welches College sie gehen soll. Sie will Lehrerin werden.«
»Sie hat was auf dem Kasten.«
»Ja. Dein Zucker ist fast alle. Was brauchst du sonst noch?«
Wir machten eine Einkaufsliste, und ich erzählte ihm von dem losen Ziegelstein hinter dem Herd. Er nahm sich etwas Geld und steuerte auf die Tür zu.
»Warte«, sagte ich. »Was ist, wenn Stella ihren Radar ausfährt?«
»Ich hab Ida gesagt, ich würd ihr auf dem Heimweg ein paar Sachen mitbringen.« Und damit verschwand er. Als das Tuckern des Fairlane verklungen war, klingelte das Telefon auf dem Tisch im Flur. Wusste Daddy etwa schon Bescheid? Hatte uns jemand gesehen? Sollte ich es einfach klingeln lassen?
Plötzlich hatte ich eine Vorahnung.
Ich zog mich an der Sofalehne hoch, humpelte in den Flur und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
Eine winzige Pause, dann Andys Stimme: »Florine?«
Ganz langsam ließ ich mich auf den Stuhl neben dem Telefontisch sinken. »Andy«, sagte ich, und dann fingen wir beide an zu weinen. Ungefähr eine Minute lang lauschten wir nur unserem Schluchzen, Schniefen und abgehackten Atmen. Schließlich sagte er: »Du lebst.«
Ich lachte. »Ja. Und du auch.«
»Ich habe schreckliche Träume gehabt.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Es tut mir leid. Es tut mir furchtbar leid.«
»Ist schon gut, Andy. Wir werden es beide überstehen.«
»Ich war verrückt. Ich hätte dich beinahe umgebracht. Es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll…«
»Ist schon gut«, sagte ich erneut. »Ich bin einfach nur froh, deine Stimme zu hören.«
»Ich versuche seit zwei Wochen, dich anzurufen. Jeden Tag. Ich hab mich nicht getraut, bei deinem Dad anzurufen, aber ich dachte, irgendwann bist du vielleicht wieder in deinem Haus. Ich hab’s immer wieder versucht. Und ich hab dir eine Karte geschrieben. Hast du sie bekommen?«
»Nein. Aber das überrascht mich nicht. Mach dir deswegen keine Sorgen, Andy.«
»Mein Vater schickt mich auf eine beschissene Militärschule, Florine. Ich weiß nicht, ob ich das ertrage. Wahrscheinlich drehe ich durch. Wie soll ich das bloß überstehen?«
»Du warst bei Outward Bound«, sagte ich. »Du überstehst alles. Du bist stark. Und zäher, als du glaubst.«
»Florine?«
»Ja?«
»Ich hab’s ernst gemeint, als ich gesagt habe, ich liebe dich.«
»Ich weiß.«
Ich hörte, wie bei ihm im Hintergrund eine Tür ging. »Und du?«, flüsterte er. »Ich auch.«
»Ich muss aufhören. Ich liebe dich. Leb wohl.« Und damit legte er auf.
Als Bud zurückkam, saß ich auf dem Stuhl neben dem Telefon und weinte. Er stellte die Lebensmittel ab und half mir wieder aufs Sofa. Dann lief er nach oben, holte eine Packung Kleenex aus dem Bad und setzte sich zu mir.
Ich erzählte ihm, dass Andy angerufen hatte. »Ich weiß, du mochtest ihn nicht. Aber manchmal kann man das Gute in einem Menschen einfach nicht sehen.«
»Er muss irgendwas Gutes gehabt haben. Du bist ja schließlich nicht blöd.«
Ich warf das zusammengeknüllte Kleenex durchs Zimmer. »Doch, ich bin blöd«, rief ich. »Sieh mich doch an! Ich sitze auf dem Sofa meiner toten Großmutter, mit einem gebrochenen Bein, einem verdrehten Rücken und einem halb lahmen Arm. Ich hab die Schule geschmissen. Ich hab keine Mutter. Ich hab keine Zukunft. Ich wird bis in alle Ewigkeit Brot für Ray backen, und ihr anderen zieht weg, und ich werde irgendwann komisch.«
»Du wirst nicht komisch«, sagte Bud.
»So? Aber der Rest stimmt?«
»Ach Quatsch. Okay, du hast die Schule geschmissen, und Carlie ist fort. Und Grand ist gestorben. Aber für die letzten beiden Dinge konntest du nichts. Du hattest damit gar nichts zu tun. Jetzt sieh doch nicht alles so schwarz. So schlimm bist du nicht. Und du hast uns.«
»Nein, hab ich nicht«, sagte ich. »Dottie geht aufs College. Du reparierst Autos und heiratest Susan. Und Glen geht nach Vietnam.«
»Was das Heiraten angeht, mal sehen. Und Glen wird nicht ewig in Vietnam bleiben«, sagte Bud. »Vielleicht könntet ihr ein Paar werden.«
Ich warf ihm einen so finsteren Blick zu, dass
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