Rubinrotes Herz, eisblaue See
er aufstand. »Ich kümmere mich mal um die Einkäufe«, sagte er. »Und dann bringen wir dich am besten nach oben. Ich sag Ma Bescheid, dass sie rüberkommt und dir beim Waschen hilft. Sie kann dir was zum Abendessen machen und dich ins Bett bringen. Ich komme morgen früh wieder und sehe nach, ob Stella und Leeman dich umgebracht haben.«
»Danke«, sagte ich. »Tausend Dank, Bud.«
Er zuckte die Achseln und ging hinaus, um die Lebensmittel wegzuräumen. Dann half er mir nach oben und wartete vor dem Bad, während ich ausgiebig pinkelte. Er brachte mich in Grands Schlafzimmer und setzte mich in den Schaukelstuhl. »Ich sag Ma, dass du hier oben bist«, sagte er. »Sie hilft dir gerne.«
Die Aussicht auf einen Besuch von der sanften Ida heiterte mich auf. Ich nickte und bedankte mich noch einmal bei ihm.
Buds schwere Schritte knarrten die Treppe hinunter. Ich hörte, wie er die Haustür öffnete und wieder zuzog. Er stapfte noch einmal die Treppe hinauf, kam zu mir und hockte sich vor mich hin. »Ich bin froh, dass du nicht gestorben bist, Florine«, sagte er. »Ich hatte Angst davor, und ich hätte dich mein ganzes Leben lang vermisst.« Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, polterte wieder nach unten und verschwand.
»Ich bin euch sehr dankbar für alles, was ihr für mich getan habt«, sagte ich zu Daddy und Stella, als sie rübergelaufen kamen, um zu sehen, ob ich noch lebte. »Aber mir geht es schon viel besser, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.«
»Na, wenn du das sagst, Florine, machen wir uns natürlich keine Sorgen mehr«, erwiderte Stella. »Vielen Dank. Dann können wir uns ja ganz entspannt zurücklehnen, nicht wahr, Leeman?«
»Es gibt keinen Grund, sarkastisch zu werden«, sagte ich.
»Was ist, wenn es brennt?«, fragte Daddy. »Es wird nicht brennen.«
»Das weiß man nie.«
»Nein«, sagte ich. »Aber das Risiko ist doch verschwindend gering, meinst du nicht?«
»Das Risiko, mit einem von den Sommerjungs in einen Autounfall verwickelt zu werden, war auch verschwindend gering«, bemerkte Stella. »Und trotzdem ist es passiert.«
»Ich gehe nicht zurück«, sagte ich. »Falls ich verbrenne, dann hier.«
»Wie willst du nach unten kommen?«, fragte Daddy.
»Oh, kein Problem. Ich zeig’s dir.« Ich ließ die Krücken die Treppe hinuntergleiten und wanderte auf dem Hintern von Stufe zu Stufe.
»Toll«, sagte Stella. »Wirklich toll.«
»Daddy, ich bin glücklich hier. Das ist mein Zuhause.«
»Selbst wenn ich dich fessele und rübertrage, krabbelst du doch wieder hierher zurück«, seufzte er.
Ich hatte gewonnen.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, nicht wegen eines Albtraums, sondern weil ich mich fragte, woher Bud wusste, dass ich meinen Tee mit Milch und Zucker trank.
48
Der Mai war ziemlich verregnet, aber am 5. Juni stieg die Temperatur auf zwanzig Grad, und von da an schien fast jeden Tag die Sonne. Morgens rutschte ich nach unten und humpelte in die Küche, um mir Frühstück zu machen. Dann setzte ich mich auf die Veranda und sah zu, wie das Wasser in der Bucht von trübem Grün zu dem leuchtenden Blau wechselte, das den Sommer ankündigte. Und zum ersten Mal seit Jahren spürte ich so etwas wie Hoffnung. Die Mühsal meines schweren Gipses und das Wissen, dass ich beinahe mein Leben verloren hätte, wurden von Freude überlagert, wenn ich das leise Tuckern des Fairlane am Haus vorbeiziehen hörte. Ich wusste auf die Minute genau, wann Bud den Motor startete, und in der Frühe, nachdem ich die Augen aufgeschlagen hatte, blickte ich auf das verschlafene Morgenlicht an der Decke über meinem Bett und wartete auf das Geräusch. Er hupte jetzt immer, bevor er aufs Gas trat und die Straße hinauffuhr. Nach dem Hupen stand ich auf. Wenn Stella morgens vorbeikam, war ich bereits gewaschen, gefüttert und startklar für den Tag. Und wenn Daddy nachmittags nach mir sah, war ich entweder mit Stricken beschäftigt oder kochte mir etwas zum Abendessen. Sie hörten auf, sich um mich zu sorgen, wie ich es ihnen gesagt hatte.
Ich verbrachte meine Tage damit, so gut es ging aufzuräumen, bei Ray Lebensmittel zu bestellen und Pullover zu stricken. Wenn der Sommer kam, mit seinen Festen und dem neuen Kunsthandwerkermarkt, der zur Feier des 4. Juli in Long Reach stattfinden sollte, würde ich bereit sein.
Jeden Tag gegen ein Uhr beschleunigte sich mein Herzschlag, und meine Ohren lauschten in dem Gemisch aus Möwen, Wind, Booten und rappelnden Pick-ups nach dem vertrauten
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