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Ruchlos

Ruchlos

Titel: Ruchlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Baum
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könntest du dir einfach in den Mund schaufeln. Vermutlich war das auch ein Grund für den Speiseplan: So macht es dem Personal keine Arbeit.«
    Ich zerteilte seine Wurst, aß gierig selbst eine Gabel voll Kartoffelsalat und berichtete, was ich von Frau Gärtner und Herrn Dürichen erfahren hatte. »Heute Nachmittag fahre ich noch nach Heidenau. Mal sehen, was da für ein Schicksal dahintersteckt.«
    Wie stark mich das von Paul Dürichen beeindruckt, wie sehr mir der alte Herr imponiert hatte, konnte ich Andy in dieser Kurzfassung gar nicht vermitteln. Mit einer solchen Gefasstheit und inneren Ruhe dem eigenen Ende entgegenzusehen – das fand ich schier unvorstellbar.
    »Hört sich wirklich an, als würde es da nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber was kann ich tun? Mich für ein künstliches Hüftgelenk interessieren?« Er unterdrückte ein Lachen.
    Ich schüttelte den Kopf. Darüber hatte ich bereits nachgedacht, und es sprach nicht nur Andreas’ Alter dagegen: » Das würde bei einer Untersuchung viel zu schnell auffliegen. Außerdem bist du kein Privatpatient. Damit dürftest du für sie uninteressant sein. Sie scheinen sich nur Privatversicherte vorzunehmen, die die Extras selbst bezahlen.«
    »Vielleicht schlagen sie aber auch Kassenpatienten solch ein teureres Gelenk als Zusatzleistung vor. Da gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten.« Nachdenklich zog er das letzte Stück Wurst durch einen Mayonnaiseklecks.
    Ich nickte. Wenn man an die ganzen Einschränkungen bei den gesetzlichen Krankenkassen dachte, offenbarte sich ein weites Feld.
    »Hör dich einfach mal um. Du kannst doch ein bisschen mit den Schwestern auf deiner Station flirten. Dann bekommst du vielleicht auch was Anständiges zu essen.«
    Andy ging auf die Vorlage nicht ein. Er hatte Fährte aufgenommen. »Ich könnte in der Orthopädie nachfragen für meine Oma, die sich angeblich immer noch sträubt gegen so eine OP. Vielleicht bekomme ich sogar einen Termin für ein Beratungsgespräch bei der Chefärztin. Und da würde ich sagen, dass die liebe Omi schon 94 ist, aber sie würde doch gerne wieder richtig laufen können. ›Das Geld ist nicht das Problem, wenn ich ihr versichern könnte, dass das von Spezialisten gemacht wird und solch ein Gelenk heutzutage perfekt funktioniert‹«, improvisierte er mit verstellter Stimme. »Einer 94-Jährigen würde man wohl normalerweise auch kein teures Ersatzteil mehr aufschwatzen. Wenn sie das versucht, hätten wir einen weiteren Ansatzpunkt.«
    »Und dann könnte ich die gute Frau als Journalistin damit konfrontieren«, ergänzte ich.
    »Okay, ich bleibe hier und versuche mein Glück.« Andreas ließ seinen Blick zu der Selbstbedienungstheke schweifen. »Aber nur, wenn du dafür sorgst, dass ich einmal am Tag was Ordentliches zu essen bekomme.«
    Alma Böttchers Geschichte ähnelte der Marianne Gärtners. Die 86-Jährige aus Heidenau hatte sich ebenfalls zum Einsatz der teuersten Hüftprothese überreden lassen, und nun fiel ihr das Gehen wieder sehr schwer. Allerdings war die Operation in ihrem Fall schon sieben Jahre her und Frau Böttcher stark übergewichtig, sodass der Verschleiß vermutlich größer war. Aber genau das war auch eines der Argumente für das angeblich bessere Gelenk gewesen. In der Zeitung wollte sie von ihrer Krankengeschichte auf keinen Fall etwas lesen. Ich gab ihr mein Wort – ich wollte ohnehin noch nichts schreiben. Ich hatte das Gefühl, erst die Spitze eines Eisbergs gesehen zu haben.
    Am späten Nachmittag lag ich zu Hause auf dem Sofa, zu müde, um mich zu entscheiden, was ich mit dem restlichen Tag anfangen sollte. Durch die Balkontür drang das Licht des sich nach und nach rot färbenden Himmels. Seltsam, wie viel länger die Tage erschienen, wenn man allein war – selbst wenn sie so angefüllt mit Arbeit und Terminen waren. Da wir eigentlich am Wochenende immer abends warm aßen, würde ich normalerweise jetzt gemeinsam mit Andy in der Küche stehen oder wir würden überlegen, in welches Restaurant wir gehen sollten, vielleicht vorab ein Bier trinken.
    Kein Bier, klar. Auch keinen Wein zum Essen.
    Alma war ein schöner Name, fand ich. Ob ich Andreas für so etwas Altmodisches begeistern könnte? Und wenn es doch ein Junge wurde …?
    Ich musste die Artikel über den ›Sturmtrupp Dynamo‹ lesen. Und Andy die Polizei ins Krankenhaus schicken, damit er Anzeige erstattete. Vielleicht sollte ich ihn gleich noch einmal besuchen. Ihm fiel bestimmt die Decke auf den Kopf.

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