Ruchlos
Geschäftsführer, der für die Gesellschaft stand, die sich die Zeitung einverleibt hatte, saß an einem großen runden Tisch, außerdem Müller und seine Stellvertreterin, Martin sowie drei weitere Männer, die ich nicht kannte. Zwei gehörten vermutlich zur Kripo, sie hatten aufgeschlagene Notizbücher vor sich liegen.
»Frau Bertram«, begrüßte der Chefredakteur mich. Für die Journalisten war es sehr früh, dachte ich. Sie mussten von zu Hause geholt worden sein. »Gut, dass Sie kommen. Wir haben schon versucht, Sie zu erreichen. Können Sie uns mehr über den Überfall auf Herrn Rönn sagen? Von wem stammt der Text zu den Fotos?«
»Der ist von mir«, antwortete ich und berichtete, was Andreas mir erzählt hatte.
»Schrecklich«, murmelte Seltmann. »Erinnern Sie mich daran, dass wir im Namen des Hauses Blumen ins Krankenhaus schicken«, sagte er zu dem Mann neben ihm.
Martin schien die Zähne aufeinanderzubeißen, sein jugendliches, braungebranntes Gesicht sah grimmig aus.
»Ihr Mann hat noch keine Anzeige erstattet, oder?«, fragte der Jüngere der Polizisten und kündigte an, sofort in die Friedrichstadt zu fahren und sie aufzunehmen. »Die Fotos müssten Sie uns zur Verfügung stellen. Gut, dass Sie keine Namen in der Zeitung erwähnt haben. Können wir davon ausgehen, dass die Täter Ihre Identität nicht kennen?«
»Wie soll ich das wissen?« Ich sprach zu laut. »Immerhin scheinen sie ja zu wissen, dass wir aus dem Westen kommen.«
»Wir waren davon ausgegangen«, schaltete Müller sich ein, »dass das Herrn Seltmann galt.« Überzeugt wirkte er nicht.
»Sollten Sie sich nicht sicher sein, müssen wir Sie um erhöhte Vorsicht bitten«, sagte der zweite Beamte.
Mir steckte ein hysterisches Lachen in der Kehle. »Und wie stellen Sie sich das vor? Ich bin Journalistin, ich laufe da draußen rum, ich treffe tausend Leute. Ich bin zur Zeit allein zu Hause. Und Herr Rönn liegt im Krankenhaus – können Sie sich denn wenigstens darum kümmern, dass ihm da nichts passiert?«
Dass ich im Moment gar nicht als Journalistin arbeitete, fiel mir erst nach meinem Ausbruch ein.
»Ich meine zum Beispiel keine Recherchen zu diesen Rechtsextremen«, erwiderte der Polizist ruhig.
»Wir berichten über die Schmierereien und darüber, dass die Polizei ermittelt – auch in Zusammenhang mit dem Überfall auf unseren Mitarbeiter?« Müllers fragender Blick ging von den Beamten zu Martin und von dort zu mir.
Der ältere Kripomann nickte, beide erhoben sich. »Dank der Fotos können wir zuversichtlich sein, die Verantwortlichen schnell aufzufinden«, sagte der Jüngere. »Und in der Klinik dürfte Ihr Mann so sicher sein wie kaum irgendwo sonst.«
Als sie draußen waren, räusperte Seltmann sich. »Ja, solche Themen sind brandgefährlich.«
»Das sind sie«, stimmte Müller zu.
»Und was ist Ihre Schlussfolgerung?« Ich spürte Martins Hand auf meinem Arm, ließ mich aber nicht bremsen. » Nicht darüber berichten?«
»Natürlich nicht.« Der Chefredakteur schien irritiert.
Als Signal, dass die Runde endgültig aufgehoben war, stand Seltmann auf. »Ich danke Ihnen für Ihre Arbeit.« Er streckte mir die Hand entgegen, schüttelte danach auch Martins und entschwand mit seinem Assistenten im Schlepptau.
»Frau Bertram, was machen wir mit Ihnen?«
Wir standen nun zu dritt in dem großen, sonnendurchfluteten Raum. Ich zuckte betont unbeeindruckt die Achseln. Wenn ich den großen Herrn Geschäftsführer verstimmt hatte, war mir das herzlich egal.
»Nachdem Herr Seltmann sich offenbar nicht an Ihren Namen erinnert, sehe ich keine Veranlassung, Sie weiter im Archiv zu lassen. Sie werden in der Redaktion dringender gebraucht.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen, wenngleich ich mich fragte, ob er die Situation im Archiv kannte, und mir Sylvia leidtat, die mit der kompletten Arbeit alleingelassen werden sollte. Martins Blick signalisierte Unverständnis, er war ja gerade erst aus dem Urlaub zurück und wusste gar nichts von meiner Strafversetzung.
»Allerdings nicht als Chefin, das möchte ich dann doch nicht auf meine Kappe nehmen. Herr Alex, sehen Sie sich imstande, die Lokalredaktion zu leiten?«
Mein Kollege war irritiert. »Natürlich. Aber wieso soll Frau Bertram das nicht machen?«
»Das kann sie Ihnen selbst erklären.« Müller reichte mir die rechte Hand, legte die linke väterlich auf meine Schulter. » Grüßen Sie Herrn Rönn. Heute werde ich es nicht schaffen, aber morgen besuche ich ihn auf jeden
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