Ruchlos
dessen Farben ebenso wie die des Vereins meiner Heimatstadt Schwarz und Gelb waren – was mich in der ersten Zeit verwirrt hatte. Ansonsten hatte ich mich aber nie mit dem Thema beschäftigt. Schon in Dortmund war ich dem Fußball gegenüber komplett gleichgültig gewesen, und das, obwohl wir nah der Wiege des BVB gewohnt hatten, einer Pilgerstätte für Fans nach jedem großen Sieg.
Seit 1953 gab es Dynamo, gegründet als SG Dynamo, wie auch heute wieder der offzielle Name lautete. Okay, geschenkt. Ich ging zum Kühlschrank und nahm ein Glas Gewürzgurken heraus, brach in Gelächter aus. Wenn das jetzt jemand mitbekommen hätte, wären sämtliche Erklärungen überflüssig. Ob es ein Junge oder ein Mädchen war? Ich wünschte mir ein Mädchen. Aber wollte ich es überhaupt vorher wissen? Am Montag würde ich ganz früh zu meiner Frauenärztin gehen. Sogar darauf freute ich mich jetzt.
Einer der erfolgreichsten und populärsten DDR-Clubs. Achtmal Meister der Oberliga; nach der Wende von 1991 bis 1995 in der Bundesliga mitgespielt. Dann kamen einige verwirrende Details über Lizenzen und deren An- und Aberkennung – 1994 wurde dem Verein wegen der desolaten finanziellen Situation die Lizenz für die erste und zweite Bundesliga aberkannt. Interessant, musste man dafür zahlen, bei den großen Jungs mitspielen zu können? Egal, das würde mir wahrscheinlich Andreas erklären können. Wenngleich sein Interesse an Fußball auch eher gering war, hatte er doch etwas mehr Ahnung davon als ich.
Dann wurde es spannend: Bereits beim letzten Europacup-Spiel gegen ›Roter Stern Belgrad‹ kam es zu so schlimmen Ausschreitungen der Fans, dass das Spiel abgebrochen und Dynamo für längere Zeit gesperrt wurde.
Ende der 90er gab es anscheinend mehr Krawalle als sportliche Erfolge, Heinz Wachowiak hatte eine lange Liste erstellt. Vor allem aber hörte man damals zunehmend Nazi-Stimmen im Gegröle der Fanblocks. Der ›Sturmtrupp Dynamo‹ wurde nach den Aufzeichnungen 1997 gegründet und vereinigte enttäuschte, zur Randale bereite Fans mit rechten Schlägern. Zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte anscheinend das Attackieren von Presseleuten. ›Vermutlich deshalb‹, hatte der alte Mann geschrieben, ›in den letzten Jahren nur geringe Berichterstattung‹.
Im Stadion hatten die Mitglieder des ›Sturmtrupps‹ seit drei Jahren Hausverbot. So wollte Dynamo sich von diesen ›Fans‹ distanzieren. Die randalierten draußen weiter. Ich ließ das Blatt sinken. Andreas musste Anzeige erstatten. Vielleicht war ein bekannter Hooligan bei dem Angriff auf ihn dabei gewesen und konnte mit seiner Hilfe festgenommen werden.
Die Kamera war noch in meiner Tasche. Ich war zu müde gewesen, um mir die Fotos anzusehen. Das holte ich jetzt nach. Es war gutes Material. Mein Kamikaze-Freund, dieser verrückte Vater meines Kindes, hatte den Apparat anscheinend erst im letzten Moment eingesteckt, sodass ein Bild einen Angreifer – einen eher kleinen, aber muskelbepackten Mittzwanziger – ganz aus der Nähe zeigte. Er war von Kopf bis Fuß schwarz-gelb gekleidet, auf dem rechten Arm erkannte man eine Binde mit einem Runenemblem, sein Trikot trug die Nummer 88.
Ich war nur kurz irritiert: Natürlich – der Nazicode für ›Heil Hitler‹, zweimal der achte Buchstabe des Alphabets.
Gut, ich würde eine ganze Fotostrecke als Aufmacher über die lokale Eins ziehen. Wer wollte mich daran hindern? Wer auch immer Wochenenddienst hatte, würde ohnehin froh um Unterstützung sein, nachdem Andy ausfiel. Ich packte meine Sachen zusammen, steckte auch die Telefonnummern der Leidensgenossen von Marianne Gärtner ein und fuhr in die Redaktion.
*
Als Erstes ging ich ins Archiv. So war meine Versetzung wenigstens zu etwas gut – ich hatte den Schlüssel zu der Etage und konnte in aller Seelenruhe nach dem ›Sturmtrupp‹ forschen. Groß war die Ausbeute nicht. Sieben Artikel, davon zwei in überregionalen Blättern. Ich speicherte sie auf dem mitgebrachten USB-Stick und wollte den Rechner schon wieder herunterfahren, als mir etwas einfiel.
351 Artikel ergab der Suchbegriff ›Hyazinthus-Krankenhaus‹. Ich überlegte einen Augenblick und ergänzte die Anfrage um ›künstliche Gelenke‹. Ergebnis: 0. Ich versuchte es mit ›Kunstfehler‹ und verzeichnete zwei Treffer. Auf den ersten Blick sah ich, dass die Texte ziemlich alt waren, trotzdem speicherte ich auch sie ab.
Ein letzter Anlauf: ›Hyazinthus-Krankenhaus Orthopädie‹. 29 Treffer.
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