Ruchlos
Gegenteil Mühe gegeben, den Tisch leise zu decken. Er habe nicht mehr schlafen können, sagte er.
»Und?«, fragte ich.
»Nichts. Egal, wie wir ihn rangenommen haben, mit jedem nur erdenklichen Trick – er ist zwischendurch ausgerastet, hat geheult, gejammert, gemauert, dann wieder erzählt, als wenn er es bezahlt bekäme – aber den Mord an seinem Großvater bestreitet er hartnäckig.« Dale trank einen Schluck Kaffee. »Ich denke, das Alibi stimmt.«
Ich schüttelte spontan den Kopf, eine Bewegung, bei der die Wunde am Hals schmerzte. »Er ist ja nicht blöd. Er wird schon wissen, dass er dabei bleiben muss.«
Dale lehnte sich auf dem Küchensofa zurück, schloss die Augen. »Kirsten, glaub mir, Hantzsche und ich haben ein bisschen Erfahrung im Vernehmen. Wir hätten ihn geknackt.«
*
Ich zuckte zusammen, als ich unsere beschmierte Wohnungstür sah. Natürlich, wer hätte sie säubern sollen? Mit vorsichtigen Bewegungen, voller Abscheu, die Schriftzüge zu berühren, schloss ich auf und schob meine Reisetasche in den Flur, legte den Stoß Zeitungen, Werbung und Post daneben, dann ging ich geradewegs in die Küche, ließ heißes Wasser in einen Eimer laufen, gab Putzmittel dazu, zog Gummihandschuhe an und machte mich daran, die Farbe abzuwaschen.
Nach einer Viertelstunde war ich völlig erschöpft, das Blut unter der frisch verbundenen Wunde pulsierte, das Ergebnis war jedoch kaum der Rede wert. Ich brauchte Terpentin, um den Dreck abzukriegen. Vergeblich klingelte ich bei zwei Nachbarn, dann gab ich auf, kehrte in meine Wohnung zurück und packte meine Tasche aus.
Um drei Uhr stand ich mit einer Tasse Tee an der Balkontür und schaute auf die Häuserfassaden gegenüber, denen die Sonne einen warmen Glanz verlieh. Ich konnte zu Andy fahren, oder erst noch einen allerletzten Versuch machen, Ronnies Alibi zu knacken.
Kurz darauf saß ich endlich einmal wieder auf meinem Fahrrad, genoss die frische Luft und die Sonne auf meiner Haut. Am Bahnhof erstand ich ein paar Stücke Kuchen. Sollte Michaela Kattner nicht zu Hause sein, würde Andreas sich darüber freuen. Noch einmal Sekt für die Nachricht der Elternschaft gab es nicht – wenn ich den Kuchen vorher loswurde, mussten wir in die Klinik-Cafeteria gehen und so feiern.
Direkt nach meinem Klingeln wurde die Haustür aufgedrückt. Oben wartete Leon, er strahlte, als er mich erkannte, vielleicht aber auch wegen des Kuchentabletts in meiner Hand. Die Mama sei im Wohnzimmer, teilte er mir mit.
Ich klopfte leise an den Türrahmen, trat auf ein »Ja« hin ein. Michaela Kattner lag auf der Couch, eine Fleecedecke über den Beinen. Ihr Blick war distanziert.
»Guten Tag. Entschuldigen Sie den Überfall, aber dürfte ich Sie noch einmal einen Augenblick sprechen? Wenn Sie mögen …« Ich hielt das bunt eingepackte Mitbringsel hoch.
»Was wollen Sie denn noch?«, fragte sie müde, richtete sich jedoch auf. »Kaffee?«
»Lieber Tee.«
Ohne ein weiteres Wort nahm sie mir den Kuchen ab und verschwand in der Küche. Ich blieb im Wohnzimmer stehen, betrachtete die farbigen Wände, die Regale, das große Sofa. Ich hatte keine Ahnung, wie ich anfangen sollte.
Als Frau Kattner zurückkam, hatte sie Leon anscheinend in der Küche versorgt, worüber ich dankbar war. Sie deckte für uns den Couchtisch, goss Tee ein, verteilte den Kuchen. Ich aß ein Stück Eierschecke, trank einen Schluck.
»Warum haben Sie erst so spät gesagt, dass Sie zum Zeitpunkt des Todes Ihres Großvaters mit Ihrem Cousin zusammen waren?«
Das war es wohl, was Polizisten ›die harte Tour‹ nannten. Mir machte sie es leichter, die sympathische Frau zu belästigen.
»Glauben Sie, ich bin stolz darauf?«, entgegnete sie.
»Es geht immerhin um Mord.«
»Zuerst nicht. Und hinterher wäre ich auch nie auf den Gedanken gekommen, dass jemand Ronnie verdächtigt. Das halte ich für …« Wie aus Reflex schob sie sich ein großes Stück Schoko-Nuss-Kuchen in den Mund.
»Für Sie ist es absolut unvorstellbar?«
Es dauerte eine Weile, bis sie den Mund leer hatte. »Hören Sie, Ronnie ist runtergekommen, er ist fertig, aber er ist kein Mörder!«
»Er gehört zu den Hooligans, gegen die Ihr Großvater etwas unternehmen wollte, und ich habe ihm das hier«, ich wies auf meinen Hals, »zu verdanken. Körperverletzung hatte er auch vorher schon in seiner Akte stehen. Ihr Cousin ist mehr als fertig.«
»Vielleicht, ja«, gab Michaela Kattner zu. »Aber das ändert nichts daran, dass ich, als mein
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