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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Klaviers und der tanzenden Füße und nahm ihn zufrieden grunzend in sich auf. Un, deux, trois, allez! Nurejew sprang in die Luft, die Beine fest und gerade aneinandergeschmiegt, die Arme gestreckt, assemblé soutenu, und seine Partnerin kam ihm in einer grande jetée en tournant entgegengeflogen, der rechte Fuß stand auf der Spitze, der linke war mit 90 Grad nach hinten gestreckt, die Arme schienen Flügel zu sein, und Oblomow spürte tief in seinem Inneren unter dem dreifarbigen Fell, was Sehnsucht ist, was Romantik und Schönheit.
    Es machte ihn glücklich. Nachts träumte er mitunter von acht Ballerinen in aprikosenfarbenen Tutus, die gemeinsam pas emboités tanzten, eine Serie voreinandergeschachtelter Schritte in die jeweils fünfte Position, o ja, Oblomow kannte sich aus, er hatte schon viel gesehen und konnte einen entrechat quatre durchaus von einem entrechat six unterscheiden, bei dem die gestreckten Füße dreimal statt nur zweimal beim Sprung in der Luft gekreuzt werden. All das gefiel ihm ungemein, aber am meisten liebte er es, Nurejew zuzusehen, wenn auch dessen Sprungkraft nicht mehr so groß war wie noch in früheren Jahren. Oblomow, der seine ideale Balance nur durch maximale Trägheit erreichte, konnte sich nicht satt sehen an den kraftvollen Sprüngen Nurejews, seine Schwerelosigkeit schien ihm ein Wunder, und wenn sein Herr die Position ecarté de face einnahm, schräg zu Oblomow in seiner Ecke beim Klavier gestellt, dann vibrierte sein Herz vor Liebe und die Augen wurden ihm feucht.
    Als Rudolf Nurejew kränker und schwächer wurde, wich Oblomow nicht von seinem Lager. Freunde versorgten ihn, denn trotz seines Kummers nahm sein Appetit nicht ab, aber er mochte das Haus nun nur noch für das Allernötigste verlassen. Und als Nurejew gestorben war, fand man den Hund, trauernd mit den Pfoten dicht vor den entzündeten Augen, als müsse er weinen, auf einem der Orientteppiche nahe dem Bett mit den vielen Seidenkissen.
    Natürlich hatte Nurejew von seinem Liebling Abschied genommen, ehe er ins American Hospital verlegt wurde, wo er im Januar 1993 starb, und natürlich hatte er für ihn gesorgt und sich einen Menschen ausgesucht, der sich nach seinem Tod um das Tier kümmern sollte. Dieser Mensch war Olga Piroshkowa, eine Ballerina, die nie in der ersten Reihe getanzt hatte, aber ein Leben lang dem Tanz treu ergebenes Mitglied zuerst der Leningrader, dann der Pariser Oper gewesen war und Nurejew anbetete, bewunderte und ihm, als er krank war, täglich kräftige Suppen kochte und in einem blausilbernen Warmhaltetopf brachte. Sie fütterte ihn teelöffelweise mit der guten Rindfleisch- oder Hühnerbrühe, das Fleisch bekam Oblomow, und wenn Nurejew erschöpft schlief, hüllte sich die Piroshkowa in ihren großen schwarzen Samtschal mit den langen Fransen und in ihren tiefroten Wollmantel und ging mit Oblomow die kastanien-bewachsene Allee entlang, bis der Hund sich entleert hatte und an der Leine zog, weil er wieder nach Hause zu seinem Herrn und den weichen Teppichen wollte.
    Olga Piroshkowa also legte der sterbende Nurejew seinen Hund ans Herz, und er hatte auch in seinem Testament vermerkt, daß der alte Gläserschrank mit den kostbaren Biedermeiergläsern sowie zwei usbekische, sehr wertvolle Teppiche, die Sammlung seltener Schallplatten und eine größere Summe Bargeld in den Besitz der Piroshkowa übergehen sollten, verbunden mit der Bitte, sich um Oblomow bis zu dessen letztem Atemzug liebevoll zu kümmern.
    Die Piroshkowa nahm das Erbe dankbar an. Sie erwirkte, daß Oblomow während der Trauerzeremonie mit in die Kirche durfte, und er lag stumm, nur hin und wieder tief seufzend zu ihren Füßen und störte niemanden. Im Gegenteil, viele der aus aller Welt angereisten Tänzer, Regisseure, Dirigenten, Choreographen, der Künstler und Journalisten, der Bewunderer, Fans und Freunde streichelten über Oblomows großen Kopf und sagten leise: »Ach, du armer Hund!« oder »Nun bist du ganz allein.«
    Aber Oblomow war kein armer Hund, und er war eben keineswegs ganz allein, er hatte ja die Piroshkowa, in deren Appartment am Bois de Boulogne er nun einzog. Seine mit rotem Samt eingefaßten Decken, sein schwarzes, thailändisches Körbchen, sein weiches Halsband aus Kalbsleder, seine Freß- und Wassernäpfe aus bestem Sèvresporzellan mit leuchtendem Blumendekor von Falconet, das alles kam mit und vermittelte ihm ein Gefühl von Heimat in seiner tiefen Traurigkeit. Olga Piroshkowa liebte den Hund, wie sie

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