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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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sie hatte eine südindische Tanztruppe nach Paris eingeladen und war sich nicht sicher, ob sich das ganze Unternehmen rentieren und ob die Pariser wirklich die religiösen Tanzdramen der Brahmanen sehen wollten. Sie erwachte und sah, wie Oblomow auf den Balkon schlich. Wie erstaunte sie, als der Hund plötzlich, den Kopf zur Stabilisierung des Gleichgewichts vor das Gitter gepreßt, die beiden Vorderpfoten in die dritte Position stellte - parallel in entgegengesetzte Richtungen zeigend, die Fersen aneinandergeschmiegt.
    Natürlich konnte das ein Zufall sein, eine seltsame Haltung, unwillkürlich eingenommen, aber auch die vierte Position stimmte, und dann die komplizierte fünfte, aus der heraus der Hund plötzlich mit völlig unvermuteter Leichtigkeit in die Höhe sprang und assemblé simple versuchte. Dann stand er still, Olga Piroshkowa hielt den Atem an und hörte ihn schwer schnaufen. Er sah lange hinab auf die Straße, und dann versuchte Oblomow, sich auf die Hinterpfoten zu stellen und die Vorderpfoten en haut über den Kopf zu halten, so graziös wie möglich, aber er hielt das nicht lange durch und stand bald wieder auf allen vieren. Für die Piroshkowa bestand kein Zweifel: Nurejews Hund übte heimlich Tanzschritte, und sie konnte es kaum fassen. Wie sollte sie sich verhalten? Sollte sie das Tier loben, ihm zeigen, daß sie sein Geheimnis kannte, oder sollte sie still das Schaupiel genießen und sich gar nicht anmerken lassen, daß sie etwas wußte? Sie entschied sich zunächst für Letzteres, konnte aber lange nicht einschlafen vor Aufregung und konnte es sich nicht versagen, wie von ungefähr ihre Hand aus dem Bett hängen und über Oblomows Kopf gleiten zu lassen, sanft, lobend, als der schwer atmende Hund längst wieder auf seiner Decke vor ihrem Bett lag und träumte, daß in schöne Trachten gekleidete Männer kraftvoll den Gopak, einen aus der Ukraine stammenden Nationaltanz im ¾-Takt tanzten.
    Die Piroshkowa beobachtete die Versuche Oblomows, elegante Tanzschritte zu wagen, nun öfter. Er machte Fortschritte. Sie hätte gern ab und zu eingegriffen und ein wenig geholfen, korrigiert, gefordert und gefördert, aber sie hütete sich davor, denn sie fürchtete, das Tier würde erschrocken darauf reagieren und nie mehr tanzen, wenn es sich entdeckt und beobachtet fühlte. Aber es drängte sie natürlich, ihre unerhörte Beobachtung mitzuteilen: Nurejews Hund tanzt! Was für eine Sensation! Sie dachte sogar daran, Photos davon an alle großen Blätter zu verkaufen, eine Titelgeschichte in den Tanzjournalen wäre das allemal wert, und sie könnte es sich teuer bezahlen lassen - allzu üppig war das Konto der Piroshkowa nicht, auch Nurejews Geld schmolz ständig dahin. Sie würde ja alle Einnahmen durchaus mit Oblomow teilen, ihm eine neue Kaschmirdecke kaufen, das beste Fleisch für ihn kochen, Basmatireis als Beilage reichen statt des einfachen amerikanischen Langkornreises. Dennoch sprach sie mit niemandem.
    Aber sie lud eine Journalistin, mit der sie befreundet war, zu einem späten Abendessen ein und bat sie, auch einen Photoapparat mitzubringen - es gäbe vielleicht eine Überraschung.
    Die Journalistin kam, man aß und trank, hörte Milhauds L'homme et son désir und hatte einen schönen Abend miteinander. Der Mond schien über dem Bois de Boulogne, und auf dem Balkon lag Oblomow, die Schnauze ans Gitter gedrückt, und sah hinab auf die abendlich belebte Straße oder döste. »Was ist mit der Überraschung?« fragte Madeleine Corbeau kurz vorm Aufbrechen, und Olga Piroshkowa hob bedauernd die schönen Hände, lächelte und sagte: »Es hat leider nicht geklappt. Vielleicht ein andermal, bis dahin darf ich dir nichts verraten.« Die beiden Frauen küßten sich auf die Wangen, verabschiedeten sich, und während Olga Piroshkowa die Gläser und Teller und die leere Weinflasche in die kleine Küche räumte, sah sie immer wieder zu Oblomow, der auf dem Balkon lag und döste. Es war ein milder Sommerabend. Olga führte den Hund noch einmal aus, dann legten sich beide zum Schlafen nieder.
    In dieser Nacht geschah nichts, und in der nächsten Nacht lag ein kleiner Photoapparat in Olga Piroshkowas Reichweite neben dem Kopfkissen. Wenn Oblomow wieder tanzte, würde sie versuchen, ein Photo davon zu machen. Und wirklich, gegen vier Uhr, als es bereits hell wurde und die ersten Vögel zwitscherten, stand das große, unförmige Tier draußen am Balkongitter und übte eine kleine arabesque mit weit

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