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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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zurückgestrecktem, linkem Hinterbein. Olga Piroshkowa griff vorsichtig zum Photoapparat und nahm ihn vors Gesicht. In diesem Moment drehte der Hund sich um und sah sie mit einem so traurigen Ausdruck im Gesicht an, daß sie das Gefühl hatte, ihn verraten zu haben wie Orpheus seine Eurydike, als er sie aus der Unterwelt befreite und dann für immer durch seine Neugier verlor. Der Hund stand da, sah sie an, sie ließ den Photoapparat sinken, flüsterte: »Pardon, man cher!«, und Oblomow trottete ins Zimmer und legte sich, weit entfernt von ihrem Bett, auf den kleinen usbekischen Teppich unter ihren Schreibsekretär. In dieser Nacht schliefen sie beide schlecht. Die Piroshkowa träumte von einem totalen Desaster mit der südindischen Tanztruppe, die in Wahrheit zwei Wochen später einen großen Erfolg haben und der Piroshkowa einiges Geld einbringen sollte, und Oblomow träumte von Männern mit Dolchen, die im wilden 6/8-Takt die Lesginka aus Daghestan tanzten.
    In den nächsten Tagen gingen beide äußerst vorsichtig miteinander um, die alternde Ballerina und der Hund des weltberühmten, toten Tänzers. Sie wußte nicht, ob sie das nächtliche Geschehen ansprechen sollte, er wußte nicht, ob sie ihn wirklich durchschaut und beobachtet hatte. Er tanzte einige Tage nicht oder nur dann, wenn er fest davon überzeugt war, daß Olga Piroshkowa tief schlief, er hörte es an ihrem Atem. Dann übte er schwierige Sprünge und entzückende kleine Pirouetten, landete aber immer plump auf allen Pfoten statt auf zweien oder gar auf nur einer.
    Am 17. März 1998 wäre Rudolf Hametowitsch Nurejew sechzig Jahre alt geworden. Oblomow lebte nun schon fünf Jahre bei Olga Piroshkowa, und er fühlte sich mitunter alt und müde. Aber immer noch übte er ab und zu Tanzschritte, und er hatte das Gefühl, seine Gelenke blieben dadurch gesund und sein Herz jung. An diesem Tag im Frühling, es war schon warm, die Forsythien blühten, schmuggelte die Piroshkowa Oblomow auf den russischen Friedhof von Sainte Geneviève de Bois zum Grab Nurejews, wo Hunde natürlich verboten sind. Sie hatte einen großen Strauß weißer Rosen dabei und legte ihn auf dem Grab ab.
    Lange stand sie still da, mit gefalteten Händen, und Oblomow lag neben ihr, den schweren Kopf auf den Pfoten, schaute auf das Grab und träumte.
    Da beugte sich Olga Piroshkowa zu ihm hinunter, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Sie streichelte ihn sanft und flüsterte:
    »Oblomow, mein Lieber - einmal. Nur für ihn.«
    Oblomows Nase zitterte, seine Flanken bebten. Er verstand genau, was sie meinte. Er sollte sein Geheimnis offenbaren, mit ihr teilen, einmal tanzen, für Nurejew, seinen früheren Herrn, der hier lag und den sie beide geliebt hatten. Der Hund erhob sich langsam, schüttelte sich, verharrte. Er hob seinen Kopf und sah zu Olga Piroshkowa hoch, die ihn sanft anlächelte. Sie würde ihn nicht verraten, das wußte er. Und er ging ein wenig zurück, nahm einen kleinen Anlauf, und dann legte Oblomow, der schwere, nun zwölfjährige Hund des weltberühmten Tänzers Rudolf Nurejew, eine perfekte cabriole mit geschlossenen Hinterbeinen, hochgestreckten Vorderbeinen, einen Flug über das Grab mit tadelloser Landung auf dem zitternden Standbein hin. Er landete mitten in den weißen Rosen. Und die Piroshkowa sah ihn an, hatte Tränen in den Augen und flüsterte: » Une cabriole, merveilleuse, wie stolz wäre er auf dich, mon cher.«
    Und dann gingen sie heim, beschwingt, glücklich, einander tief verbunden, und auf dem Treppenabsatz vor der Tür zu ihrem Appartment leistete sich Oblomow einen völlig überraschenden soubresaut, einen komplizierten Senkrechtsprung aus der fünften Position mit perfekter Landung. Danach hat er bis ans Ende seines Hundelebens nie wieder getanzt, und die Piroshkowa hat nie ein Wort über ihr gemeinsames Geheimnis verloren.

Ingvar Kamprad aus Elmtarysd in Agunnaryd  
    J EDESMAL WENN ICH DORT BIN, schwöre ich mir, ich gehe nie wieder hin. Wenn ich dort war, schäme ich mich. Ich schäme mich, weil ich ohne nicht sein kann, weil es Tage gibt, wo ich am Morgen schon spüre, ich muß wieder hin. Und dann gehe ich wieder hin.
    Es ist eine unbestimmbare Lust, die mich immer wieder hinzieht.
    Die Lust davor, die danach schal und abgestanden ist. Ich bin schon den ganzen Tag aufgeregt, zittrig, bis ich endlich dort bin.
    Und nie ist es die wirkliche Befriedigung, immer bleibt ein bitterer Beigeschmack. Seltsamerweise weiß ich nicht mehr genau, wann

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