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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Nurejew geliebt hatte. Sie versorgte ihn gut, ließ ihn vor ihrem Bett schlafen, und wenn sie die wunderbaren alten Schallplatten mit den Divertissements von Rameau, Gluck oder Gounod auflegte, zu denen Rudolf Nurejew so oft getanzt hatte, dann hatten sie beide Tränen in den Augen.
    Ab und zu ging Olga Piroshkowa in den Trainingssaal der Oper, übte mit den Ballettelevinnen, und dann lag Oblomow wieder neben dem Klavier bei Monsieur Valentin, sah zu, hörte zu, spürte den Fußboden beben, und ein namenloses Sehnen zog durch seine Brust und brach manchmal in einem kurzen, markerschütternden Geheul aus ihm heraus. Dann hielt Monsieur Valentin inne, nahm die langen weißen Hände von den Tasten, bückte sich, kraulte Oblomow hinter den Ohren und sagte: »Ah, mon pauvre petit chien, il n'est pas disparu, il est toujours entre nous«, mein Armer, er ist nicht wirklich weg, er ist immer hier bei uns, und Oblomow spürte, daß daran etwas Wahres war.
    Die Piroshkowa lebte ein zurückgezogenes Leben. Sie war über sechzig, ihre besten Jahre waren längst vorbei, und sie hatte ohnehin nie so ausschweifend gelebt, solche opulenten Feste gefeiert, Bankette gegeben, so viele Freunde so großzügig bewirtet, wie das bei Rudolf Nurejew der Fall gewesen war. Ihr Leben war leise, diszipliniert, ein kleines Ritual, aber Oblomow, auch in die Jahre gekommen, fühlte sich, wenn er ganz ehrlich war, dabei wohler als bei den lauten, wilden Gelagen damals in Nurejews Wohnung, bei denen ihm schöne junge Männer Champagner in seinen Trinknapf gegossen und ihn mit Kaviarbrötchen gefüttert hatten. Er wollte lieber seine Ruhe haben, und die hatte er bei der Piroshkowa, die zeitig zu Bett ging. Dann allerdings wurden ihm die Nächte doch manchmal etwas lang, und er schlurfte durch die nur angelehnte Tür auf den kleinen Balkon und sah nachts um halb drei durch das Gitter der Veranda hinunter auf die stille Straße vorm Bois de Boulogne. Und eines Nachts ertappte er sich zu seinem Erstaunen dabei, wie er plötzlich die Vorderpfoten zierlich kreuzte und einen kleinen Sprung wagte -
    fast eine révoltade, eine äußerst komplizierte Variation aus Spielbein und Sprungbein. Er schnaufte heftig. Langsam hob er seinen Hinterleib und stellte sich auf die Spitzen der Hinterpfoten -
    ein beinahe perfektes relevé war ihm da gelungen, und er legte noch einen Schritt drauf, einen ganz kleinen, eigentlich nur angedeuteten frappé, ein leichtes Fersenanschlagen, Spielbein gegen Standbein. Dann stand er verwundert still und horchte in sich hinein. Was war denn das? Konnte er, wollte er etwa tanzen, in seinem Alter, bei seiner Leibesfülle? Trieb ihn Sehnsucht nach seinem Herrn, Erinnerung, oder hatte er ästhetische Bedürfnisse?
    Er wußte es nicht. Er wußte nur, daß es ihn reizte, auszuprobieren, was er so oft gesehen, wovon er so oft geträumt hatte. Jeté! Plié!
    Oblomow fügte, wie er es tausendmal bei den Tänzern beobachtet hatte, eine kleine Serie demi pliés an, um die Muskeln zu lockern und die Balance zu halten, und dann wagte er sich an die erste Position: die Füße werden nach außen gedreht, Fersen aneinander, und so muß es eine gerade Linie sein. Oblomow gelang das perfekt. Die zweite Position - beide Füße in gerader Linie mit einem Schrittabstand zwischen den Fersen - machte ihm auch keinerlei Mühe. Sein Herz klopfte, er war sehr aufgeregt und bereute, nicht schon früher mal einige Tanzschritte erprobt zu haben. Aber er war bereits jetzt leicht außer Atem gekommen und beschloß, es nicht zu übertreiben und weitere Positionen in der nächsten Nacht zu versuchen. Er atmete die würzige Nachtluft tief ein und trollte sich wieder auf seine Decke, ließ sich schwer fallen und sank in einen Traum, in dem dralle böhmische Mädchen zu Musik von Dvorak erotische Tänze tanzten.
    Am nächsten Tag wunderte sich Olga Piroshkowa darüber, daß der Hund gleichermaßen erschöpft und nervös wirkte. Er schnaufte schwer beim Treppensteigen, er mochte nicht Spazierengehen, aber in der Wohnung lief er unruhig auf und ab, und es schien ihr, als setzte er die Pfoten anders als sonst - nicht so breitbeinig, zierlicher, als würde das schwere Tier versuchen, leichter zu gehen, und sie war beunruhigt und doch auch sehr gerührt. Sie beschloß, Oblomow im Auge zu behalten. In der Nacht erhob er sich wieder von seinem Lager und ging auf den Balkon. Die Piroshkowa, die meistens einen leichten Schlaf hatte, war zudem von ein paar Sorgen belastet, denn

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