Rudernde Hunde
fuhr gegen Abend mit ihrem Jeep durch den Nationalpark. Sie kamen aus München, drei Männer und eine Frau. Sie wollten in Australien Tierfilme drehen und waren gerade erst angekommen, es war ihre erste Erkundungsfahrt, nur die Koffer hatten sie in der Übernachtungsstation am Rande des Parks zurückgelassen. Als einige Känguruhs ihren Weg kreuzten, hielten sie an, um ein paar erste Photos zu machen. Eines der Känguruhs, mittelgroß, nicht scheu, begleitete sie bei der Weiterfahrt, hüpfte mal vor, mal neben dem Wagen her, und einer der Dokumentarfilmer holte seine Kamera heraus und filmte es bei seinen grotesken Sprüngen.
Dabei muß der Fahrer des Jeeps für einen Moment nicht aufgepaßt und das Tier unglücklich gestreift haben - es stürzte jedenfalls plötzlich zu Boden und blieb regungslos liegen.
Die Filmer hielten den Wagen an und stiegen entsetzt aus. Das Tier lag da und rührte sich nicht, Blut war aber nirgends zu sehen.
Sie zogen das Känguruh vorsichtig zur Seite und lehnten es an einen Baum, wie man es vielleicht mit einem bewußtlosen Menschen getan hätte. Es war schwer und fühlte sich hart und knochig an. Sein Fell war fettig und roch nicht gut. Das Tier rührte sich nicht, nicht einmal Atem war festzustellen.
Die Dokumentarfilmer waren sehr erschrocken und wußten nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollten. Der mit der Kamera filmte, denn auch das war ein Bild, ein wie schlafend am Baum lehnendes Känguruh, und man überlegte, ob man Hilfe holen sollte.
Schließlich fuhren die Frau und einer der Männer mit dem Jeep zum Lager zurück, der Kameramann und sein bayerischer Freund Waldi blieben bei dem noch immer reglosen Tier.
Warum Waldi seine Trachtenlederjacke mit den grünen Eichenlaubaufschlägen aus- und sie dem Känguruh anzog, wußte später niemand mehr zu sagen - ein nur mäßig geschmackvoller Scherz. Auch setzte er dem stummen Tier seinen Sepplhut mit Gamsbart auf, und der Kameramann hielt alles im Bild fest. Es muß der Übermut dieses ersten Abends nach der langen Reise gewesen sein, der sie antrieb.
Sie waren von dem seltsam stillen Tier, das nun mit Trachtenjacke und Sepplhut unbeweglich am Eukalyptusbaum lehnte, zurückgetreten und filmten und lachten, als sich das Känguruh auf einmal regte. Es tat einen tiefen Schnaufer, erwachte aus seiner Benommenheit und richtete sich groß auf.
Noch ehe die beiden Männer angesichts der mächtigen Hinterbeine und des starken Schwanzes nun doch furchtsam etwas zurücktreten konnten, rannte das Tier mit einer Geschwindigkeit ins Unterholz davon, die ihm niemand zugetraut hätte.
Die beiden Männer lachten nicht mehr. Sie sahen das Känguruh in der Ferne verschwinden. In der Jacke waren alle vier Flugtickets, Waldis Reisepaß und seine sämtlichen Papiere, sein Führerschein, seine Kreditkarten und die Travellerchecks sowie eine alte, von seinem Großvater ererbte Schnupftabakdose, die auf dem emaillierten Deckel die Abbildung eines rotwangigen Mönchs zeigte und die den guten »Schmölzl Schnupftabak«
enthielt.
Man wartet nun in Melbourne darauf, daß vielleicht ein schnupfendes Känguruh in Trachtenmode mit Sepplhut auftaucht, um jodelnd nach München einzuchecken.
Heute morgen im Südpark
H EUTE MORGEN bin ich durch den Südpark gelaufen. Gerannt.
Ein Eichhörnchen schaute mir dabei zu. Als ich zum zweitenmal an dem Eichhörnchen vorbeikam, fragte es streng: »Warum rennt ihr alle so?«
»Um uns zu bewegen«, sagte ich.
»Warum klettert ihr nicht auf Bäume?«
»Das können wir nicht.«
»Braucht ihr keine Nüsse?« ‹
»Nein.«
»Warum wollt ihr euch dann bewegen?«
»Weil wir zuviel sitzen.«
»Was macht ihr, wenn ihr sitzt, knackt ihr Nüsse?«
»Nein, wir lesen.«
»Ihr macht was?«
»Lesen.«
»Was ist das?«
»Wir lassen uns Geschichten erzählen.«
»Was für Geschichten?«
»Von sprechenden Eichhörnchen, zum Beispiel.«
Es sah mich verblüfft an.
»Es gibt sprechende Eichhörnchen?« fragte es. Ich sagte: »Ja, manchmal.«
Das Eichhörnchen sagte: »So was glaub ich einfach nicht« und sprang davon.
Ich rannte noch einmal um die große Wiese herum, und ich hatte das Gefühl, als säße das Eichhörnchen oben im Baum und sähe verächtlich auf mich Lügnerin herab.
Wanda und Wladimir
I CH WILL DIR DIE GESCHICHTE von Wanda und Wladimir erzählen.
Sie wohnten im Sommer in Sibirien und im Winter hier in der Nähe an einem See. Sie waren, bis Wanda starb, ein Paar. Ein Schwanenpaar. Schwäne. Und wenn
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