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Rudernde Hunde

Rudernde Hunde

Titel: Rudernde Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Schwäne lieben können, dann liebten sie sich. Und wie alle Liebenden eine Geschichte haben, so haben auch Wanda und Wladimir eine Geschichte. Die haben sie mir erzählt.
    Es war schon eine ganz besondere Geschichte, ein Wunder sozusagen. Eines Tages, es war, soviel ich mich erinnere, ein ziemlich kalter Märztag, es lag noch da und dort, wo die Sonne nicht hinkam, Schnee, und die Pflanzen lugten erst zaghaft aus der Erde. An diesem Tag sagte ich mir: fort mit dem Winter, raus aus der warmen Stube, hinaus in die Natur, den Frühling begrüßen! Ich fuhr mit der S-Bahn aus der Stadt hinaus, ging an einen See, setzte mich ans Ufer und sah sie: Wanda und Wladimir, die Schwäne. Erst einmal wußte ich natürlich nicht, daß sie Wanda und Wladimir hießen. Sie waren einfach Schwäne, denn soviel wußte ich von den Tieren, daß ich Hunde von Katzen und Gänse von Schwänen unterscheiden konnte. Was - gib es zu - gar nicht so einfach ist für jemanden, der erst mit der S-Bahn aus der Stadt herausfahren muß, um ein Tier zu sehen. Gut, Hund und Katze, das weiß jeder, wo da der Unterschied ist. Aber frag mal bei uns im Haus, ob man den Unterschied zwischen Gans und Schwan kennt. Du wirst dich wundern. Jedenfalls, die beiden, die offensichtlich ein Paar waren, denn sie waren immer zusammen, kümmerten sich umeinander und rieben manchmal ganz zärtlich die Hälse aneinander. Sie waren so, wie deine Mutter und ich in guten Zeiten, als wir uns noch liebten, auch miteinander waren.
    Das war, als du noch ganz klein warst. Nun, die beiden Schwäne schwammen anmutig und stolz über den See. Ich schaute ihnen lange zu, und als sie einmal sehr nahe zu mir kamen, sagte ich:
    »Was seid ihr aber schön!« Ich traute meinen Ohren nicht, als ich plötzlich hörte: »Findest du?« Ich schaute mich um, doch niemand war in der Nähe. Es müssen die beiden gewesen sein, denn es hatten in der Tat zwei Stimmen gesprochen, eine tiefere, männliche, und eine höhere, weibliche Stimme. »Ja«, sagte ich aufmunternd, »ihr seid schön und stolz, eine Zierde für diesen See.« Und wieder antworteten die beiden Schwäne. »Das freut uns«, sagte die weibliche Stimme. »Ja«, sagte die männliche Stimme, »besonders Wanda, meine Frau, ist sie nicht wunderschön?« »Ja, doch«, sagte ich. »Der lange Hals«, sagte er.
    »Hast du je einen so langen Hals gesehen?« »Nein«, sagte ich,
    »ich glaube nicht.« »Ach, laß doch, Wladimir, immer diese Komplimente vor fremden Leuten!« Wanda und Wladimir. Ich wußte ihre Namen, und ich verstand die Sprache der Schwäne!
    Halt! Nein! War es wirklich so? Nein, es war anders: die beiden weißen Schwäne da draußen auf dem Vorstadtsee sprachen meine Sprache! Jawohl, sie sprachen unsere, meine und deine Sprache. Zugegeben, es klang etwas krächzig, was an den Schnäbeln liegen mußte. Weiß der Teufel, wie es klänge, wenn wir einen Schnabel hätten und einen so langen Hals! Aber es war verdammt perfekt, wie sie sprachen, wie sie sich ausdrückten. Gar kein so geringer Wortschatz, würde ich sagen. Wladimir sprach undeutlicher, brummeliger, benutzte aber viele Höflichkeitswörter, wie »gestatten Sie«, oder »wenn Sie so freundlich sein würden«.
    Und einmal sagte er sogar »halten zu Gnaden, Sir«. Wo er das nur herhatte?! Das war doch kein Russisch! Wanda sprach lässiger, normaler, in der Stimme, wie gesagt, höher, aber mehr so wie unsere Hausmeisterin sprach, wenn du dich an sie noch erinnern kannst. Mein Gott, mir fällt ihr Name nicht mehr ein. Egal.
    Jedenfalls, Wanda und Wladimir sprachen die Menschensprache.
    Allerdings, ich erwähne es nur am Rande, denn es hatte einen gewissen Reiz, sie sprachen mit leichtem Akzent. Was heißen soll, sie waren nicht von hier. Später erfuhr ich, daß es ein sibirischer Akzent war. Wir unterhielten uns lange. Und sie erzählten mir ihre Geschichte. Und diese Geschichte will ich dir hier erzählen.
    Aber wo fange ich an? Ganz vorne? Wo ist ganz vorne? Wann ist das? Als Wanda oder Wladimir aus dem Ei schlüpften? Oder als ich geboren wurde? Das ist Unfug. Denn es ist ja die Geschichte von Wanda und Wladimir, nicht meine Geschichte. Also spielt es gar keine Rolle in dieser Geschichte, daß und wann und ob ich geboren bin oder nicht. Man kann sogar sagen, daß es auf mich in der Geschichte überhaupt nicht ankommt. Du siehst, es ist gar nicht so leicht, zu entscheiden, was in einer Geschichte wichtig und was unwichtig ist und wie und wo und wann man eine Geschichte

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