Rudernde Hunde
die Zwillinge von damals zu sagen habe. Ich schrieb ihm sofort. Ich war neugierig geworden, ich glaube, zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Feuer gefangen, hatte mich etwas wirklich interessiert.
Suhrbier schrieb sparsam zurück, auf Briefpapier des Vereins.
Ja, die Krachts, das sei ein weites Feld, erzählen könne er da manches, schreiben, das sei allerdings nicht seine Sache. Also setzte ich alle Hebel in Bewegung, um die Genehmigung für eine Reise nach Leipzig zu bekommen. Das dauerte fast drei Jahre.
Meine Diplomarbeit hatte ich inzwischen abgeschlossen. Thema: Die Darstellung des Rudersports in den Medien nach der Machtergreifung Adolf Hitlers.
Im Herbst 1978 fuhr ich nach Leipzig. Meinen Fotoapparat und eine Mappe mit Kopien der Zeitungsausschnitte von damals nahmen sie mir an der Grenze ab. Es sollte sich herausstellen, daß Suhrbier alle Berichte über die Krachts gesammelt hatte.
Er hatte seine Ämter im Verein inzwischen niedergelegt und empfing mich bei sich zu Hause.
Er wohnte in einer schmucklosen, einfachen Reihenhaussiedlung ein Stück außerhalb der Stadt, eineinhalbgeschossige Häuser, eines wie das andere, kleine, teilweise gepflasterte oder gekieste Vorgärten. Nummer 11, Herbert Suhrbier. Das Namensschild an der Tür, in Holz gebrannte Schrift, zierte ein Ruder. Im Vorgarten tobten zwei braunweiße, gefährlich aussehende Hunde, Rüden, das sah ich, die Rasse konnte ich nicht ausmachen. Von Hunden verstehe ich auch nichts. Ich klingelte, Suhrbier erschien in der Tür, und ich traute meinen Ohren nicht.
»Harro, Hasso, hierher!« rief er. Die Hunde hatten die Namen der Krachtzwillinge. Suhrbier sperrte sie in einen Zwinger, von wo aus sie zähnefletschend den Westler bedrohten und mich fatal an die beiden Grenzsoldaten im Zug erinnerten, die in meinem Kulturbeutel herumgeschnüffelt und alles kommentiert hatten, was sie fanden. (»Ah, Zahnpasta, glauben Sie, auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik gibt es keine Zahnpasta?«)
Jetzt erst, nachdem er die beiden Hunde beruhigt hatte, wandte sich Suhrbier mir zu.
»Na, haben Sies gleich gefunden?«
»Jaja, natürlich.«
»Gut, dann kommen Sie mal in die gute Stube.«
Die »gute Stube« war klein, mit Möbeln vollgepackt, und vor allem war sie ein Rudermuseum. Der athletische, jünger aussehende Mann mit den schlohweißen Haaren bewegte sich darin ungeschickt. Kaum saßen wir in den abgeschabten Sesseln vor einem Likör, wollte ich die Frage loswerden, die mich drückte.
»Ihre Hunde - sie heißen wie die Krachtzwillinge! Warum?«
Er lachte.
»Ich habe 1930, als ich anfing, sie zu trainieren, sie waren gerade fünfzehn, ihren Vater, einen alten General, mal gefragt, wie die beiden zu diesen sonderbaren Namen gekommen sind.
Wissen Sie, was der geantwortet hat? ›So hießen die besten Hunde, die ich je hatte.‹ Er hat seine Zwillinge tatsächlich nach seinen Hunden benannt. Na ja, und ich - diese Hunde da draußen sind die besten Hunde, die ich je hatte - also heißen sie Harro und Hasso. Und - also - ich hab die Zwillinge manchmal, wenn ich sie zusammmenscheißen mußte, ›ihr Hunde‹ genannt.«
Etwas verlegen machte ihn das doch, er lächelte unsicher.
»Sie waren aber auch wie Hunde. Wenn man ihnen etwas erklärte, dann standen die nicht still oder stramm, wie andere.
Nein, die standen da, so - einen Fuß ein Stück vor dem anderen -
so, sehen Sie - und dann wippten sie vor und zurück - so -
verrückt. Und beide, verstehen Sie: beide - so - im Takt wippten sie. Wie - ja, eben wie Hunde, die einen Befehl bekommen und es nicht abwarten können, ihn zu befolgen und auszuführen. Sie waren wie Hunde - aber dazu zeige ich Ihnen später noch was.«
Er erzählte, zeigte Fotos und Zeitungsausschnitte, Trophäen, Plaketten und Pokale. Und er sprach begeistert und liebevoll, wie ein Vater beinahe, von den Zwillingen.
Sie waren zweifellos die größten Talente, die er je betreut hatte.
Sie waren eine Einheit, einer war ohne den anderen nicht denkbar, sie ergänzten sich, rissen sich gegenseitig mit - am Anfang.
Suhrbier machte eine lange Pause, in die hinein ich fragen konnte.
»Und später nicht mehr?«
»Später - als sie national fast ganz oben waren, quälten sie sich nur noch.«
»Und machten doch weiter?«
»Ja. Sie mußten. Konnten ja nichts anderes, hatten ja nichts gelernt.«
Wieder schaute er in eine imaginäre Ferne, blieb dann an der Wand an irgendeinem der vielen Fotos hängen und erklärte, daß
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