Rückgrad
innere Blockade hätte, er habe das auch mitgemacht, wenn auch nicht über einen so langen Zeitraum.
- Wie lange schreibst du jetzt nicht mehr?
- Ich weiß nicht. Vielleicht zehn Jahre.
- Und gar nichts, wirklich überhaupt nichts … ?
- Mich befällt ein Zittern, wenn ich vor einem leeren Blatt sitze. Es könnte nicht schlimmer sein, wenn ich einen Salto mortale ausführen müßte.
- Hör mal, ich glaube nicht, daß man sein Talent verlieren kann, so etwas fliegt nicht davon. Es schlummert nur.
- Mmm, naja, in meinem Fall dürfte das sein letzter Schlaf sein.
- Ah, wer weiß …
- Ich weiß es.
Ob meine Begabung nun davongeflogen oder nur eingeschlummert war, änderte nicht viel am Problem. Nach sechs Monaten war ich in der Stiftung immer noch am gleichen Punkt, ich hatte meinen Platz noch nicht gefunden, und Paul mochte sich noch so den Kopf zerbrechen, ich hatte nicht die geringste Hoffnung, daß sich in meinem Fall etwas bessern würde. Ich bat einfach darum, mich auf einen Posten zu versetzen, wo ich niemandem schaden konnte, aber es passierte nichts. Astringart hatte sich die Gelbsucht zugezogen, er war noch für einige Tage außer Gefecht. Ich überlegte einen Moment, mir den rechten Arm an der Kante meines Schreibtischs zu brechen.
Unter diesen Umständen war es für mich ein wahrer Segen, mich auf den Heimweg zu machen. Und sei es nur, um das Essen zuzubereiten, zumindest hatte ich dann das Empfinden, lebendig zu sein, und ich brauchte vertraute Mienen um mich herum, um die Leere zu füllen, die ich nach acht Stunden Büroagonie verspürte. Seit einiger Zeit ging ich nicht mehr in Kneipen, um ein Glas zu trinken, ich hatte alles im Hause was ich brauchte. Seit ich festgestellt hatte, daß sich um diese Stunde ein dem meinen ähnliches Leid auf sämtlichen Gesichtern abzeichnete, trödelte ich unterwegs nicht mehr.
- Was hättet ihr denn gern …? fragte ich sie am letzten Abend, während sich Sarah von diesem Scheusal vernaschen ließ.
Leider hatten sie keinen großen Hunger.
Wir blieben im Garten, bis die Nacht hereinbrach.
- Ich glaube, Sarah hat jemand getroffen …. bemerkte Gladys, als wir zum Schattenspiel wurden.
Elsie saß auf mir, ich hörte auf, ihren Arm zu streicheln.
- Ja … Und das geht schon seit einer Weile so, fügte Richard leise hinzu.
12
Wir hatten uns vor dem Eingang verabredet. Ich holte Hermann und Richard, die Gladys kurz zuvor begleitet hatten, rasch ab, und wir warteten feixend im Schatten der Mauer auf Sarah. Sie versuchten mich zu hänseln, weil ich eine Mütze mit breitem Schirm aufgesetzt hatte, aber ich ließ mich nicht verunsichern, ich sagte ihnen, da kämen wir sehr schnell drauf zurück, dann nämlich, wenn wir erst einmal in der prallen Sonne säßen, bei etwas mehr als fünfundvierzig Grad, und ihre Schädel wie Eier brieten.
Ich hatte noch nie einem dieser Endspiele beigewohnt, ohne von einem Gluthimmel verbrannt zu werden. Man brauchte bloß den sengenden Luftzug zu spüren, der durch die Straße wirbelte, dann wußte man, was einen auf den Zuschauerrängen erwartete und welch wundersame Wirkung eine simple Mütze recht bald haben würde.
Niemand hatte erwartet, daß sie Arm in Arm mit Vincent Dolbello auftauchen würde. Wir waren bester Laune, ein wenig trunken vom Licht und nicht im mindesten auf diese unangenehme Überraschung gefaßt. Als wir sie kommen sahen, erstarb das Gespräch, und einige flüchtige Blicke wurden ausgetauscht. Das war das erste Mal, daß ihn Sarah am hellichten Tag anschleppte, zudem so ungezwungen, daß ich erschüttert war.
- Ich glaub, wir sterben gleich …! scherzte sie.
Richard hatte bereits den Blick abgewandt und zerrte Hermann zum Eingang, als mir Dolbello die Hand reichte. Tief betrübt ließ ich die Sache über mich ergehen, ich beschränkte mich auf das strikte Minimum, immerhin erleichtert, daß Richard dieser Verrat verborgen blieb.
Ich fand es widerlich, wie er Elsie küßte – er legte ihr eine Hand auf die Schulter und nahm seine Sonnenbrille ab, als enthüllte er ihr eines der Wunder dieser Erde.
- He, findste nicht, der sieht aus wie ‘ne Kopie von Burt Reynolds …? raunte ich Sarah zu, während der andere an meinem Liebchen klebte.
Sie ignorierte meine Worte völlig. Ehrlich gesagt, ich war mir nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt gehört hatte, sie war total meschugge, seit es diesen Kerl gab, und Teufel nochmal, ich erkannte sie manchmal nicht wieder, und das ödete mich maßlos an.
-
Weitere Kostenlose Bücher