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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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mit einem gut plazierten Lächeln begnügt, dann war ich in der Menge untergetaucht und hatte meinem Nebenmann die Geschichte mit meiner Beule erzählt.
    Paul klammerte sich eine ganze Weile an meine Schulter, er ließ sie nicht los, während wir von einer Gruppe zur nächsten drifteten, und schmatzte mir irgendwelche Erinnerungen an die gute alte Zeit ins Ohr, an die Vergangenheit, die in diesem Ambiente des Erfolgs sozusagen wieder auferstand, ob ich die Melodie der Loblieder wiedererkannte, hatte ich denn vergessen, welche Höhen wir erklommen hatten …?! Ich brachte es nicht übers Herz, ihm eine Abfuhr zu erteilen, ich wußte, was diese Zeit für ihn bedeutete, ich hatte nichts dagegen, wenn er von Zeit zu Zeit anfing zu faseln, am besten, wenn ich entspannt war. Obwohl er nie darüber sprach, spürte ich mitunter, daß ihn die Arbeit in der Fondation bedrückte. Fürwahr, wir saßen alle im gleichen Boot.
    Leitern, Rollen, Scheinwerfer hingen über unseren Köpfen. Schwere Behänge wallten von der Decke herab und verbargen in ihren Falten die einzelnen Elemente der Bühnenausstattung. Das Stück war zu Ende, doch das Schauspiel ging weiter. Was verbarg sich hinter diesen lächelnden Gesichtern, was steckte hinter all dem, was war Wahres daran, welch tief vergrabenen Geheimnissen waren sie undurchdringliche Maske …? Als Schriftsteller hatte ich damit gewuchert, aber seither behielt ich meine Gedanken für mich. Das hieß nicht, daß ich jetzt mit anderen Augen sah. Es gab Momente, da begannen meine Ohren zu rauschen, das Stimmengewirr wurde leiser, bis es nur noch ein schwaches Murmeln war, und beklommen beobachtete ich die Leute, atemlos vor soviel Geheimnissen und irgendwie auch fasziniert ob der Komplexität der Dinge und ihres dumpfen, unterirdischen Grollens. Sämtliche Menschen, die mir nahestanden, waren heute abend versammelt, aber wie stand es wirklich damit …? Hätte ich behaupten können, ich kennte ihr wahres Gesicht, bestand überhaupt die geringste Aussicht, jemals dorthin zu gelangen …?! Jedesmal, wenn man einen Schleier lüftete, verdichtete sich die Finsternis.
    - Könnte es sein, daß du dich langweilst …? scherzte Marianne, während sie ihren Rollstuhl vor mir anhielt.
    - Das ist die Rührung, meinte ich. Vergiß nicht, ich bin sein Vater, und schon deshalb fällt ein Teil seines Erfolgs auf mich zurück …
    - Ich glaube, einige Leute waren beeindruckt … Und ich ganz besonders, weißt du …
    - Mmm, schade, daß ich nur einen Sohn habe, wer weiß, was du dann erst erlebt hättest …!
    Eines konnte sie jedoch mittlerweile erleben – falls sie ihn, meinem Beispiel folgend, aus den Augenwinkeln beobachtete –: besagter Sohn hatte sich auf eine gefährliche Bahn begeben. Ich für mein Teil war kein großer Champagnerfan, und wenn ich gelegentlich welchen trank, dann leistete ich mir nur selten einen Nachschlag. So war ich auch erst bei meiner zweiten Schale angelangt, und Scherz beiseite, es war sehr gut möglich, daß das für diesen Abend meine letzte war, bei Hermann indes sah die Sache anders aus.
    Boris war keinen Deut besser. Es kam mir vor, als könnte ich den beiden keinen einzigen Blick zuwerfen, ohne sie auf frischer Tat zu ertappen, Schulter an Schulter und einander auf Teufel komm raus zuprostend. Ich wußte nur zu gut, wie die Sache ausgehen würde, und ich fragte mich, wer sich um mein Motorrad kümmerte, falls ich gezwungen war, ihn nach Hause zu bringen.
    Ich glaubte nicht, daß er noch lange durchhielt. Es war ziemlich heiß, und bei der Anspannung, die er hinter sich hatte, gab ich ihm keine Viertelstunde mehr.
    - Ich glaube, Hermann hat ein wenig zuviel getrunken …. raunte mir Sarah zu.
    Keine Ahnung, welches Wunder sie an meine Seite führte, was in sie gefahren war, mich ohne Not anzusprechen, aber es war so, und im Grunde war das noch schlimmer. Wenn ich eins befürchtet hatte, dann, daß sie unsere Beziehung zu banalisieren suchte. Und doch kam ich nicht um die Feststellung herum, daß wir bereits auf dem besten Wege dazu waren.
    - Jaja, antwortete ich und schaute weg.
    - Vielleicht solltest du ihm Einhalt gebieten …
    - Nein, sagte ich.
    - Oh, naja, immerhin geht dich das was an …
    -Jaja.
    - Du bist keiner, der sich große Mühe gibt, nicht wahr …?
    - Nein.
    Ich schloß einen Moment die Augen. Als ich sie wieder aufschlug, war sie nicht mehr da. Mühe …?! Was erhoffte sie sich eigentlich …? Daß ich sie beide auf eine Runde Bridge einlud …?! Daß

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