Rückgrad
Opfers gegenüber dem Henker.
Ich wollte keines dieser mickrigen, bereiften Dinger, ich wollte eine Tanne von mindestens zwei Meter Höhe und einer anständigen Spannweite. Schweren Herzens, denn die Luft schien so rein wie ein Gebirgsbach, verzichtete ich darauf, das Motorrad hervorzuholen, und ließ mich in die Stadt kutschieren. Kleine, zerbeulte Blechschilder an dem Sitz des Fahrers ersuchten einen, nicht das Wort an ihn zu richten, nicht zu rauchen, nicht auf den Boden zu spucken, die Fenster nicht zu öffnen, doch nichts konnte meinen Schwung bremsen, nicht einmal der kalte Blick, den er mir im Rückspiegel zuwarf und der ein Pferd in die Knie gezwungen hätte.
Ich verbrachte ungefähr eine Stunde in der Abteilung für Christbaumschmuck. Ich hatte mir fest vorgenommen, piano vorzugehen, aber schon bald hatte ich meine guten Vorsätze vergessen, denn es gab da eine beträchtliche Auswahl und alles glitzerte einem vor Augen, alles war voll im Licht aufgereiht, daß einem die Ohren sausten. Binnen kurzer Zeit hatte ich mir einen solchen Vorrat an Kugeln zugelegt, eine schöner als die andere, daß zwei Christbäume nicht gereicht hätten. Ich war mir dessen voll und ganz bewußt, aber ich war wie im Rausch. Ich hatte mir eine riesige Garbe von diesen schimmernden, raupenförmigen Girlanden um den Hals geschlungen, und ein Typ in Zivil strich um mich herum und beobachtete mich unauffällig, und ich grinste ihn an. Die Kassiererin brauchte minutenlang, um sämtliche Preise abzulesen, und ich nutzte die Zeit, um beiläufig ein paar Sachen hinzuzufügen, dann zahlte ich mit meiner Karte, hütete mich aber, einen Blick auf die Summe zu werfen, und flitzte ins Erdgeschoß, um mir einen Baum auszusuchen.
Gegen Mittag stand ich mit meiner Tanne und einem großen Karton, dessen Inhalt in der Sonne funkelte, auf dem Bürgersteig. Der Himmel war kaum noch verschleiert, und schöne goldene Strahlen drangen seelenruhig durch die Wolken. Ich war dafür durchaus empfänglich, aber nach fünf Minuten wurde mir die Zeit allmählich zu lang.
Sobald sie an mir vorbeikamen, fuhren die Taxis schneller. Diese Bande von Saukerlen, ich traute meinen Augen nicht. Konnte es sein, daß man mir einen solchen Streich spielte, aufgeschmissen, wie ich es war? Sollte ich hier warten, bis ich schwarz wurde, gab es denn keinen, den mein Martyrium rührte?
Ich schäumte im wahrsten Sinne des Wortes, als eine prächtige Limousine vor mir anhielt, aber ich hatte noch einen ganzen Schwall von Flüchen auf den Lippen und nahm sie ohne große Freude zur Kenntnis. Die Scheiben waren getönt wie die Gläser eines Blinden. Ich setzte ein Gesicht auf, liebenswürdig wie eine Gefängnistür, als sich eine von ihnen mit entwaffnender Sanftmut senkte. Das Mädchen, das ich innendrin erblickte, war Marianne Bergen, und sie sagte zu mir: Oh, guck mal, wer da ist …! während ich mich zu einem Lächeln zwang.
- Dan … Hast du Schwierigkeiten …?
Einige Minuten später war alles geregelt. Und weitaus besser, als ich zu hoffen gewagt hatte, denn nun durchkreuzte ich die Stadt mit einem Glas Bourbon in der Hand, die Beine übereinandergeschlagen, frohgemut und quietschfidel in ein Gespräch mit Marianne Bergen vertieft. Alles lief wie geschmiert. Ich hatte meinen Baum gegen eine Straßenlaterne gelehnt, und Hans, der Chauffeur, sollte ihn abholen, nachdem er uns abgesetzt hatte, was fürwahr die ideale Lösung war, das Leben konnte nicht anders sein, dachte ich.
Als ich ihr erklärt hatte, ich hätte die Absicht, die Bude zu schmücken, war Marianne in helle Begeisterung ausgebrochen und hatte sogleich kundgetan, sie habe nichts Dringendes zu erledigen. Worauf ich ihr erwiderte, der Himmel müsse uns auf den gleichen Weg geschickt haben oder aber ich hätte keine Ahnung von nichts.
Ich beglückwünschte sie zu ihrem Wagen, während wir an den verschneiten Bürgersteigen entlangbrausten und ich meine Schätze zwischen uns auf dem weichen Leder der Rückbank ausbreitete. Marianne ergriff sie und nahm sie einzeln m Augenschein, denn schon der geringste Lampion war, wie gesagt, einen Blick wert.
- Oh, mein Vater hat ihn mir zu meinem zweiunddreißigsten Geburtstag geschenkt, antwortete sie. Was sagst du dazu …?!
Ich fragte mich, was ihr der Kerl wohl zu Weihnachten schenkte.
Kaum vor meinem Haus angekommen, hüpfte Hans aus dem Wagen und flitzte zum Kofferraum, um sich Mariannes Rollstuhl zu schnappen. Wir baten ihn, unterwegs nicht zu bummeln, denn ich
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