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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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trotzdem zählte ich jede Sekunde, die verstrich, und wand mich auf meinem Sessel, und natürlich malte ich mir das Schlimmste aus. Ich zündete mir dennoch eine Hoyo de Monterrey an. Das war der große Unterschied zwischen einem Bengel von sechzehn Jahren und einem Kerl meines Alters. Das war eine Art Lebensphilosophie.
    Als Hermann kurz darauf antanzte, hatte ich mein Glas nachgefüllt und hörte Schwanenweiß von Sibelius. Die Kleinheit meines Geistes zerging unter dem Hauch der weiten Landschaften des Nordens, meine Seele hatte sich von ihrem Schmutz gereinigt und nach und nach ihren Flug wieder aufgenommen, so daß ich diese famosen Crepes vollkommen vergessen hatte. Ich begrüßte ihn und entschuldigte mich. In dem Augenblick, da ich zu ihm sprach, war es mir praktisch gelungen, Sarah aus meinem Weg zu verbannen, indem ich mir gewisse mentale Techniken wie die Miniaturisierung oder das Rezitieren von einigen Haiku auferlegte.
     
Die lange Nacht
    Das Plätschern des Wassers
    sagt, was ich denke (Gochiku)
     
    Er enthielt sich jeden Kommentars, als ich ihm mitteilte, sie werde nicht mit uns kommen, und bestimmt überraschte das niemanden. Ich war leicht besoffen. Ich legte für einen Moment meine Hand auf seine Schulter, die Lippen um meine Zigarre gepreßt, die Augen zusammengekniffen, dann nickte ich und schlüpfte in meine Jacke.
    - Machen wir das Licht nicht aus …? fragte er mich, bevor wir gingen.
    - Pah, lassen wir heut’ abend ruhig ein paar Lichter brennen … Und da er sich nach mir umdrehte, beeilte ich mich, hinzuzufügen:
    - Das hat nichts zu sagen … Achte nicht drauf.
     
    Als ich anderntags aufstand, war niemand im Haus. Alles lag wild durcheinander, wie nach einem Wirbelsturm, der nur die Bewohner mitnimmt und ein heilloses Tohuwabohu hinterläßt. Anscheinend war ich der einzige, der nichts Bestimmtes zu tun hatte.
    Ich brachte eine ganze Weile damit zu, aufzuräumen, ruhig und ohne Bitterkeit, ging sogar so weit, den Staubsauger nach oben zu schleppen und die Betten notdürftig zu machen und die herumfliegenden Kleidungsstücke aufzuheben und zu falten, obwohl alles verquer lief, einfach alles, wohin ich mich auch wendete. Es war fast beruhigend, die Bude in Ordnung zu bringen. Wer immer mich am Werk gesehen hätte, er hätte den Hut gezogen angesichts der Quasi-Gelassenheit, die ich daraus schöpfte. Mein Laden ist ganz und gar ausgebrannt, nichts versperrt mir mehr den Blick auf den Mond, der scheint. (Masahide)
    Es hatte aufgehört zu schneien, die Sonne kam zwar nicht richtig hervor, doch der Himmel war so hell, daß ich beschloß, einen Tannenbaum zu kaufen. Ich war mindestens zwei Wochen zu früh. Als Hermann noch ein kleiner Junge war, hatte ich mich regelmäßig mit Franck über dieses Thema gestritten, da sie stets bis zum letzten Moment warten wollte, sie fand es lächerlich, die Bude von den ersten Dezembertagen an zu schmücken.
    - Mir reichen schon diese verdammten Läden! fauchte sie. Findest du nicht, daß die einem alles vermiesen?! Kannst du mir mal sagen, was das soll, diese Weihnachtsdekoration mitten im November?
    Und da sie einmal dabei war, kam sie auf die Art zu sprechen, wie ich mich um Hermann kümmerte, nämlich überhaupt nicht, wenn man sie so hörte, oder ich übertrieb es, was auf dasselbe rauskam, was bewies, daß ich ein schlechtes Gewissen hatte. Nichts brachte mich mehr auf die Palme als dieses Thema, man hörte mich in der ganzen Bude Türen schlagen und den Himmel zum Zeugen nehmen. Glaube sie, es sei einfach, ein Buch zu schreiben, fehle es ihnen denn an etwas …?!
    - Herrgott nochmal …! Der Tag ist für mich im Eimer. So eine Scheiße …!!
    Ich biß mir vor Wut in die Faust.
    - Was würdest du sagen, wenn ich in einem Büro arbeitete, hm …? Ich würde ihn nur abends sehen, gerade früh genug, um ihm einen Gutenachtkuß zu geben, wäre doch fein, was? Na klar, dann wäre alles bestens, kann ich mir denken …!
    Wenn sie einmal aufgebracht war, gab sie keinen Millimeter nach.
    - Na und, vielleicht wäre das besser als nichts! entgegnete sie. Du, du bist doch nie da, du bist da, ohne da zu sein … !
    Kurz und gut, ich hatte also beschlossen, einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Dieses ganze Theater mit dem Datum scherte mich in diesem Fall wenig. Ich fand das eine ausgezeichnete Reaktion auf all den Ärger, der gegenwärtig über mich hereinbrach, eine Möglichkeit, die linke Wange zu reichen, und zugleich ein Akt der Auflehnung, das Augenzwinkern des

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