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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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schaffte. Sie bejahte.
    »Überleg es dir bitte gut. Ich muss wissen, ob ich bei dir zu Hause wohnen kann, wenn ich es nach New York schaffe«, vergewisserte ich mich.
    »Ja«, sagte sie wieder, und ich erklärte, dass ich versuchen würde sie anzurufen, wenn ich in Conakry, der Hauptstadt
    von Guinea sei, dem einzigen friedlichen Nachbarland und
    der einzigen Möglichkeit damals, Sierra Leone zu verlassen.
    Ich musste weg, denn ich hatte Angst, wenn ich länger in
    Freetown bliebe, wieder als Soldat zu enden oder von mei-
    nen ehemaligen Freunden in der Armee erschossen zu wer-
    den, wenn ich mich weigerte, mit ihnen zu kämpfen. Ein

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    paar meiner Freunde, die mit mir im Rehabilitationscenter gewesen waren, waren bereits in die Armee zurückgekehrt.
    Ich verließ Freetown früh am Morgen des siebten Tages,
    nachdem mein Onkel gestorben war. Ich erzählte nieman-
    dem, dass ich wegging. Lediglich Mohamed weihte ich ein,
    der es meiner Tante beibringen sollte, wenn sie nicht mehr trauern würde. Sie hatte sich nach dem Tod meines Onkels
    von der Welt und allen Menschen abgewandt. Am 31. Okto-
    ber 1997 verließ ich das Haus, als es draußen noch dunkel war. Es galt noch immer die Ausgangssperre, aber ich musste die Stadt verlassen, bevor die Sonne aufging. Um diese Uhrzeit war es weniger gefährlich, unterwegs zu sein, einige der Bewaffneten dösten noch, und die Nacht erschwerte es den
    Milizen, mich schon von weitem zu entdecken. Schüsse hallten durch die stille Stadt, und der Morgenwind blies mir kräftig ins Gesicht. Die Luft roch nach vermodernden Leichen
    und Schießpulver. Ich schüttelte Mohamed die Hand. »Ich
    sag dir Bescheid, wo ich lande«, sagte ich. Er klopfte mir auf die Schulter und erwiderte nichts.
    Ich hatte nur eine kleine schmutzige Tasche mit ein paar
    Kleidungsstücken dabei. Es war zu riskant, mit einer großen oder auffälligen Tasche unterwegs zu sein, denn die bewaffneten Männer würden denken, dass man etwas Wertvolles
    dabei hätte, und einen möglicherweise schon deshalb erschie-
    ßen. Als ich in die schwindende Nacht zog und Mohamed
    auf der Veranda stehen ließ, bekam ich Angst. All das kam mir viel zu vertraut vor. Ich blieb an einem Strommast stehen, atmete tief durch und boxte ein paarmal wütend in die Luft. Ich muss versuchen rauszukommen, dachte ich, wenn es nicht funktioniert, dann muss ich wieder zur Armee. Dieser Gedanke gefiel mir nicht.
    Eilig lief ich am Straßenrand entlang und ging in De-
    ckung, wenn ich ein Fahrzeug herankommen hörte. Ich war
    der einzige Zivilist auf der Straße, und manchmal musste ich Kontrollpunkte umgehen, indem ich entweder durch den
    Straßengraben kroch oder mich hinter Häusern duckte. Ich
    schaffte es sicher bis zu einem alten Busbahnhof am Stadtrand, der nicht mehr in Betrieb war. Ich schwitzte und meine Lider 244
    flatterten, als ich mich dort umsah. Da standen viele Männer
    – alle etwa Mitte dreißig – einige Frauen und ein paar Familien mit Kindern, um die fünf Jahre und älter. Sie alle standen in einer Reihe vor einer baufälligen Mauer, einige hielten Bündel mit Sachen und andere die Hände ihrer Kinder.
    Ich ging ans hintere Ende der Schlange und hockte mich
    hin, um nachzusehen, ob mein Geld noch in meinem Socken
    – unter meinem rechten Fuß – steckte. Der Mann vor mir
    murmelte etwas vor sich hin und lief vor der Mauer auf und ab. Er machte mich noch nervöser, als ich es sowieso schon war. Nach ein paar Minuten des stillen Wartens verkündete ein anderer Mann, der mit allen anderen in der Schlange gestanden hatte, dass er der Busfahrer sei und bat alle mitzukommen. Wir gingen in die verlassene Busstation hinein,
    bahnten uns einen Weg über eingestürzte Zementmauern
    hinweg in einen offenen Bereich, wo wir einen Bus bestie-
    gen, der dunkel angestrichen war, sogar die Felgen, damit er sich besser an die Nacht anpasste. Der Bus rollte ohne
    Scheinwerferlicht aus der Station und verließ die Stadt über Nebenstraßen. Die Straße war seit Jahren nicht mehr benutzt worden, deshalb kam es mir vor, als würde der Bus durch den Busch fahren, wenn Blätter und Äste laut gegen ihn schlugen.
    Langsam holperte er durch die Dunkelheit, bis endlich die Sonne aufging. Irgendwann mussten wir aussteigen und hinter dem Bus herlaufen, damit er einen kleinen Hügel hinaufkam. Wir waren alle sehr still, unsere Gesichter waren angespannt vor Angst, denn wir hatten das Stadtgebiet noch immer nicht ganz verlassen. Wir stiegen wieder

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