Rueckkehr nach Abbeydale
beobachtete Kate, wie ihr Vater die Hintertür öffnete und den Hund hereinließ, der ihn zum Bahnhof begleitet hatte.
„Er ist nicht gern draußen”, erklärte er ein wenig betreten. „Deine Mutter hat ihn völlig verdorben.”
Als sie sich jedoch im Wohnzimmer zu ihrer Mutter gesellten, um dort Tee zu trinken, lag der Hund zu seinen Füßen. Da Cherry jetzt nicht bei ihr war, fühlte Kate sich ziemlich unbehaglich und verletzlich. Elf Jahre zuvor hatte sie ihr Elternhaus verlassen und war völlig am Boden zerstört gewesen. Nun fragte sie sich, wie sie die Kluft überbrücken sollte.
Wie sich herausstellte, war es nicht schwer. Offenbar hatte Lydia ihre Eltern ständig über Cherry und sie auf dem laufenden gehalten, so daß ihre Mutter fast genauso mit ihrem Tagesablauf vertraut war wie Kate selbst. Sie erkannte, daß Lydia ihnen beiden eine gute Freundin gewesen war.
Was sie damals mit ihrer überstürzten Flucht nach London hatte erreichen wollen, wußte Kate nicht, aber nachdem sie zwei schreckliche Tage und Nächte durchlebt hatte, war sie zu ihrer Patentante gefahren.
Sie hatte befürchtet, daß Lydia sie nach Hause zurückschicken oder mit ihren Eltern vereinbaren würde, die Schwangerschaft totzuschweigen und das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Statt dessen hatte sie ihr angeboten, so lange mit ihrem Baby bei ihr zu wohnen, wie es nötig war.
Obwohl Lydia ledig und eine typische Karrierefrau war, hatte sie diese verantwortungsvolle Aufgabe Kates Ansicht nach bemerkenswert gut erfüllt. Sie hatte sie ermutigt, ihr Studium zu beenden, und sie entlastet, indem sie sich ebenfalls um Cherry gekümmert hatte. Als Kate ins Berufsleben eingestiegen war, hatte Lydia sie ermuntert, sich eine eigene kleine Wohnung zu kaufen, damit sie auf eigenen Füßen stehen konnte.
Nicht ein einziges Mal hatte sie nach Silas gefragt, und Kate hatte nie von ihm gesprochen. Also was hatte es für einen Sinn, jetzt an ihn zu denken?
Am nächsten Morgen wurde Kate geweckt, weil ihr Vater nach seinem Hund pfiff. Zum Glück hatte ihre Mutter sie am Vorabend daran erinnert, daß er die Angewohnheit hatte, sehr früh aufzustehen. Kate sah ihn vor sich, wie er in seinem alten Tweedjackett dastand, den Hirtenstab in der Hand, um mit seiner täglichen Arbeit zu beginnen. An einem Sommermorgen wie diesem würde er ins Moor gehen, nach seinen Schafen sehen und mit den Hunden für die Dales-Schau trainieren.
Nun nahm Kate auch die anderen Geräusche wahr: das Blöken der Wollschafe, die auf der anderen Seite des Hauses auf der Koppel standen, das Gackern der Hühner ihrer Mutter und schließlich die Stimme ihres Vaters, als dieser seinen Hund zum Gehorsam mahnte.
Bisher hatten sie noch keinen Hütehund besessen, der der Versuchung widerstehen konnte, die Hühner zusammenzutreiben. Kate mußte lächeln, als sie daran dachte, und kuschelte sich tiefer in die Decke. Als Teenager hatte sie es immer genossen, wenn sie morgens noch ein wenig länger im Bett hatte liegen können. Im Gegensatz zu früher bekam sie jedoch sofort ein schlechtes Gewissen als sie daran dachte, daß ihre Mutter schon auf war und vermutlich in der Küche hantierte.
Seufzend stand Kate auf und ging zum Fenster. Als sie Cherrys aufgeregte Stimme auf dem Hof hörte, runzelte sie die Stirn.
„Ich bin schon auf, Grandpa! Kann ich mitkommen?”
„Erst mußt du deine Mutter fragen”, erwiderte ihr Vater unwirsch. „Außerdem mußt du etwas im Magen haben.”
„Aber du wartest auf mich, ja?” beharrte Cherry.
Kate ertappte sich dabei, wie sie unwillkürlich den Atem anhielt. Sie hoffte, ihr Vater würde Cherrys Gefühle nicht verletzen, indem er ihr die Bitte abschlug.
Sie machte sich bereits darauf gefaßt, als er schroff entgegnete: „Wer das Moor nicht kennt, hat dort eigentlich nichts zu suchen.” Zu ihrer Erleichterung fügte er dann aber versöhnlicher hinzu: „Sprich mit deiner Mutter, und frühstücke erst mal. Nachher kannst du dann zusehen, wenn ich mit Laddie auf der Koppel trainiere. Natürlich wird es bei dem dummen Kerl nichts nützen. Aus ihm wird nie ein Champion, er ist einfach zu verweichlicht.”
Kate war schon unten, als Cherry freudestrahlend hereinkam.
„Mum, ich helf’ nachher Grandpa, wenn er mit Laddie trainiert”, erklärte sie wichtigtuerisch.
„Tatsächlich?” erwiderte Kate, die geflissentlich darüber hinwegsah, daß Cherry ein wenig übertrieb. „Na, dann mußt du wohl erst einmal etwas essen,
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