Rueckkehr nach Abbeydale
brachte, hörte sie dem aufgeregten Geplapper ihrer Tochter nur mit halbem Ohr zu. Sie saß in ihrem alten Zimmer, betrachtete die vertraute Tapete mit dem Rosenmuster und erinnerte sich daran, wie sie sich damals aufs Bett geworfen und vor Angst und Kummer geweint hatte, weil sie nicht hatte wahrhaben wollen, daß sie schwanger war, daß Silas tatsächlich verheiratet war und ihr Vater sie nicht mehr in seinem Haus duldete.
„Und Grandpa hat gesagt, daß die Dales-Schau bald stattfindet. Ich würde da auch gern mitmachen. Ist alles in Ordnung, Mum?”
Kate lächelte schwach. „Es geht mir gut …”
„Hast du gerade an meinen Vater gedacht?”
Als Kate ihr in Augen sah, die wie ihre grün waren, mußte sie wieder einmal daran denken, wie reif ihre Tochter für ihr Alter war und wie einfühlsam.
Von wem sie diesen Charakterzug geerbt hatte, stand außer Zweifel. Sein Feingefühl war eine der Eigenschaften gewesen, die Kate damals an Silas aufgefallen waren – und natürlich sein attraktives Äußeres.
Ihr war bewußt, daß ihre Gedanken schon wieder in die Vergangenheit abschweiften und daß sie Cherrys Frage noch nicht beantwortet hatte. Sie stand auf und ging ans Fenster, um ins Tal hinauszuschauen. Auf den tieferliegenden Wiesen grasten die Schafe ihres Vaters, die bald geschoren werden mußten.
„Nein”, sagte sie schließlich leise, wobei sie Cherry den Rücken zuwandte. „Ich habe nicht an deinen Vater gedacht. Ich habe mich nur an die Zeit erinnert, als dies hier mein Zimmer war.”
Es war das erstemal, daß sie Cherry angelogen hatte, und das tat ihr weh. Doch der Besuch bei ihren Eltern nach so langer Zeit hatte zu viele Erinnerungen hervorgerufen und Gefühle in ihr geweckt, die sie für sich behalten wollte.
Sie mußte nicht nur an Silas denken, sondern auch an ihre Kindheit, an David und ihre Eltern. Vor allem aber sah sie viele Dinge jetzt anders, und das schockierte sie zutiefst.
„Jetzt mußt du aber schlafen.” Kate drehte sich um und lächelte Cherry an. Egal, was sie sonst denken oder fühlen mochte, sie liebte ihre Tochter über alles – Silas’ und ihr gemeinsames Kind.
Dann umarmte sie sie und gab ihr einen Kuß. „Freust du dich, daß du hier bist, Schatz?”
„Und wie! Es ist viel besser, als ich erwartet hatte.” Ernst schaute Cherry ihre Mutter an. „Wenn ich hier wohnen würde, würde ich bestimmt nie hier wegwollen.”
Kate spürte, wie ihr Puls zu rasen begann. Auf keinen Fall wollte sie, daß Cherry ihr Herz zu sehr an diesen Ort hängte. Für sie beide war es ausgeschlossen, auf Dauer in den Dales zu leben, denn sicher gab es kaum freie Stellen für Lehrer, und wo hätten sie wohnen sollen außer bei ihren Eltern?
Nachdem sie Cherry eine gute Nacht gewünscht hatte, ging Kate nach unten in die Küche.
Überrascht stellte sie fest, daß nur ihr Vater dort war und gerade Tee kochte. Außerdem lief eine Geschirrspülmaschine, die von einer zu den Schränken passenden hölzernen Verblendung verdeckt war.
„Deine Mutter wird auch nicht jünger”, meinte ihr Vater schroff, als er Kates erstaunte Reaktion bemerkte. „Es gab Zeiten, da hatte ich gehofft, David würde seine Meinung ändern und zurückkommen. Doch es sieht so aus, als wären deine Mutter und ich die letzten Setons, die hier leben. Ich möchte nicht, daß sie zu früh stirbt, weil sie sich kaputtmacht.”
Kate konnte ihr Erstaunen kaum verbergen. Was war bloß aus ihrem ehemals harten, unnachgiebigen Vater geworden, der vor seinen Kindern nie Gefühle gezeigt hatte, aus Angst, sie könnten es als Schwäche ansehen?
„Die Zeiten ändern sich, Schatz”, fuhr er fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Und manchmal muß man seine Lektion lernen. Was ich dir damals an den Kopf geworfen habe, war falsch. Dich so aus dem Haus zu treiben … Ich habe es nicht so gemeint, und wir waren beide zu stolz, um nachzugeben, stimmt’s?”
Sie hatte das Ganze noch nie in diesem Licht betrachtet. Nun wurde ihr klar, daß er nicht ganz unrecht hatte. Daß sie sich geweigert hatte, wieder Kontakt mit ihren Eltern aufzunehmen, aus Angst, von ihnen zurückgewiesen zu werden, bewies, daß sie genauso stur war wie ihr Vater.
„Zum Glück hat deine Mutter mich zur Vernunft gebracht”, sprach er weiter. „Du hast übrigens eine feine Tochter. Es wird deiner Mutter guttun, außer mir und den Schäfern noch jemanden bemuttern zu können.”
Im nächsten Moment erklang von draußen ein Jaulen. Verblüfft
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