Rueckkehr nach Abbeydale
haben, als ich geboren wurde”, erklärte ihre Tochter.
Gemeinsam aßen in dem großen holzvertäfelten Eßzimmer zu Abend, das auf der Vorderseite des Hauses lag und einen herrlichen Ausblick auf den Garten bot. Obwohl der Boden unfruchtbar war und im Winter ein eiskalter Wind blies, hatten Generationen von Frauen in der Familie im Schutz der hohen Mauern dort Obst und Gemüse und sogar Blumen gezogen.
Da es ursprünglich ein kleiner Herrensitz gewesen war, war das Gebäude wesentlich größer als die anderen Bauernhäuser im Tal. Das helle Wohnzimmer mit dem polierten Parkettboden und den Eichenmöbeln lag zur Talseite hin und wurde nur bei besonderen Anlässen benutzt.
Normalerweise wurde in der großen Küche gegessen, und im Sommer hatte ihre Familie sich oft erst gegen acht oder neun dort eingefunden, damit ihr Vater den Tag so lange wie möglich nutzen konnte.
Ihre Mutter hatte all die leckeren Gerichte zubereitet, für die sie in der ganzen Umgebung bekannt war: wunderbar lockere Scones, Brot, mit Puderzucker bestäubte Rosinenschnitten, Pudding mit frischen Früchten und knackfrischen Salat. Dazu gab es neue Kartoffeln und selbstgeräucherten Schinken. Kate erinnerte alles noch von früher, doch als sie sich eine Scheibe von dem ofenwarmen Brot abschnitt, stellte sie fest, daß es mit Vollkornmehl gebacken war. Das bewies, daß auch die Leute in den Dales sich dem Einfluß der Presse nicht entziehen konnten.
Im Gegensatz zu Cherry, die mit großem Appetit aß, brachte Kate kaum einen Bissen herunter. Sie bemerkte, daß Cherry sich bereits verändert hatte. Sie wirkte offener und gelöster, als hätte sie sich in der Stadt nicht frei entfalten können.
Während sie munter mit ihren Großeltern plapperte und von der Schule und ihren Freundinnen erzählte, hing Kate ihren Gedanken nach.
Es beunruhigte sie, daß sie ständig an Silas denken mußte. Eigentlich hätte sie darauf gefaßt sein müssen, denn mit dem Besuch zu Hause wurden auch die Erinnerungen an ihn wieder wach. Schließlich war er untrennbar mit dem seelischen Trauma verbunden, das sie damals erlitten hatte.
Dennoch hatte sie in all den Jahren kaum an ihn gedacht. Es war längst vorbei, und da sie Cherry hatte, bedauerte sie es nicht, ihn kennengelernt zu haben. Als sie jedoch herausgefunden hatte, daß er sie betrogen hatte, daß er verheiratet war und Kinder hatte, hatte sie nichts mehr für ihn empfunden.
Auf keinen Fall wollte sie noch einmal eine solche Enttäuschung erleben.
Natürlich war sie in der Zwischenzeit mit einigen Männern ausgegangen. Meistens waren es Kollgen gewesen oder Freunde von Freunden, die sich wie sie für Theater interessierten und mit denen sie nette Abende verlebt hatte. Doch für keinen von ihnen hatte sie derart leidenschaftliche Gefühle verspürt wie für Silas.
Kate fragte sich, warum das so war. Obwohl sie dieser Empfindungen durchaus fähig war, hatte sie nach der Affäre mit Silas mit keinem anderen Mann mehr geschlafen. Alle Freundschaften mit Männern waren rein platonisch gewesen.
Ob es daran liegt, daß ich Angst habe? fragte sie sich. Wenn man eine tiefere Beziehung einging, konnte man viel leichter verletzt werden.
Zuerst hatte Cherry natürlich im Mittelpunkt gestanden. Die meisten Männer wollten keine Beziehung zu einer Frau mit einem Kleinkind eingehen, und Kate hatte genug damit zu tun gehabt, sich um ihre Tochter zu kümmern und ihr Studium zu beenden. Ohne Lydias Hilfe hätte sie nicht einmal das geschafft.
„Ich habe Cherry in deinem alten Zimmer untergebracht.”
Die Worte ihrer Mutter rissen sie aus ihren Gedanken.
Ihr altes Zimmer war winzig und sehr gemütlich, da es unter dem Dach lag. Die unebenen Wände und die schiefe Decke verliehen ihm eine besondere Note.
„Du kannst im Gästezimmer schlafen”, fuhr ihre Mutter fort, „dann bist du ganz in ihrer Nähe. Es hat jetzt ein eigenes Bad. Ich dachte, es wäre dir lieber.”
Ein Gästezimmer mit einem dazugehörigen Bad … Plötzlich wurde Kate melancholisch. Sogar hier hatte sich einiges verändert. Ihr war bereits aufgefallen, daß ihre Eltern jetzt Zentralheizung hatten. Sie erinnerte sich noch lebhaft an die Auseinandersetzungen, die die beiden deswegen geführt hatten. Als ihre Mutter das Thema damals angesprochen hatte, hatte ihr Vater sich kategorisch geweigert, überhaupt darüber zu reden.
Doch offenbar änderten sich die Zeiten und die Menschen auch.
2. KAPITEL
Als Kate später am Abend Cherry ins Bett
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