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Rueckkehr nach Glenmara

Titel: Rueckkehr nach Glenmara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri Sonja Hauser
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Kollektion für die Frühlingsschauen fertigzubekommen, fast nicht geschlafen oder gegessen, während Ethan dem Lärm in der Wohnung immer öfter entflohen war. Ich sehe dich kaum noch , hatte er gesagt. Wann bist du endlich fertig? Am Ende war er dann selbst fertig gewesen, und zwar mit ihr.
    Doch das hatte sie in ihrem Eifer nicht bemerkt. Im März, als der Regen auf Seattle herniederprasselte, waren ihre Modelle dann endlich bereit gewesen, den Models angepasst zu werden. Feen-Punk hatte Kate ihren Stil genannt, mit dem sie sich eine Marktnische erobern wollte, aber am Schluss waren die Stücke nur ein schlechter Abklatsch ihrer ursprünglichen Entwürfe gewesen, weil sie sich nach den Wünschen von Jules gerichtet hatte. Warum nur? Wieso war sie nicht ihrer Idee treu geblieben? Ohne die Krankheit ihrer Mutter wäre das sicher nicht passiert. Kate hatte ihr immer alles gezeigt, das gehörte zu ihrem Schaffensprozess. Ihre Mutter, die das zu wissen schien, hatte ihr im Allgemeinen keine Ratschläge erteilt, sondern Kate reden und beim Sprechen denken lassen, doch im Herbst war das anders geworden.
    Anfangs hatte Kate noch nichts gemerkt, weil ihre Mutter ihr erst in der Endphase alles beichtete, als der Krebs bereits die Oberhand gewonnen hatte.
    »Du hättest es mir sagen sollen.« Endlich hatte Kate Lu
eines Abends nach dem Essen, einem der letzten in Kates Elternhaus, über ihre »kleinen Termine« befragt, weil sie glaubte, es sei ein Mann im Spiel …
    »Das hätte auch nichts geändert.« Lus Näharbeit mit kompliziertem Pfauenmuster im Art-déco-Stil hatte auf dem Sideboard gelegen. Obwohl Lu nicht wusste, ob sie die Arbeit daran beenden könnte, hatte sie sie fortgesetzt und die Fäden mit den Zähnen durchgebissen, weil sie die Schere immer wieder verlegte. Mein Chemotherapiehirn , lautete ihre Erklärung. Die Medikamente hatten mehr zerstört als die kranken Zellen: ihre Haare, ihre Gedanken. Diese Vergesslichkeit war völlig untypisch für die ordentliche und organisierte Lu, bei der die Fadenspulen im Nähkästchen glänzten wie Edelsteine: Peridot, Amethyst, Aquamarin, Granat, Jade.
    Kate hatte sich gefragt, was sonst noch verloren gehen, ob sie auch sie vergessen und am Ende nicht mehr erkennen würde. Ob alles im Raum, Tisch und Stühle, die Hängelampen aus Murano, die Bambusrollos und sogar das Nähkästchen, irgendwann nur noch Artefakte aus der Vergangenheit ihrer Mutter wären, vergessen und verkauft.
    »Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
    »Ich hätte es gern früher erfahren.« Kate hatte sich betrogen gefühlt und Angst gehabt wie damals, wenn ihre Mutter sie ins Bett steckte, ihr einen Kuss auf die Wange drückte, das Licht ausschaltete und die Tür schloss.
    »Ich wollte dich schützen«, hatte Lu erklärt.
    »Durch Lügen?«
    »Ich habe nicht gelogen, sondern dir nur einfach nichts gesagt.«

    »Ist Verschweigen nicht das Gleiche wie Lügen?« Was sonst hatte sie ihr verheimlicht?
    Lu hatte mit ihrem Fleisch herumgespielt, es mit der Gabel ein wenig angehoben, als vermutete sie etwas darunter. (Im Jahr zuvor war sie von ihrer veganen Ernährungsweise abgerückt, mit der Begründung, ihr Körper brauche Eisen.) Trotz ihrer Appetitlosigkeit hatte sie weiter so getan, als würde sie das Essen genießen und ihre Zunge auf Weltreise gehen lassen – nach Persien, Tunesien, Äthiopien, Frankreich, Italien, Thailand. »Nicht immer.«
    »Aber …« Ein Krähenschwarm war auf den kahlen Ahornbäumen draußen vor dem Fenster gelandet, schwarze Schatten vor den dunklen Wolken.
    »Wir können einander nicht alles sagen.« Lu hatte kraftlos abgewunken, zum allerersten Mal, soweit Kate sich erinnerte. »Ich habe es für das Beste gehalten.«
     
    Kate drehte den Fingerhut in der Hand und musste an die Worte von William denken: Lassen Sie sich Zeit , hatte er gesagt.
    Handelte es sich um den richtigen Zeitpunkt? Das hoffte Kate. Jedenfalls redete sie sich ein, dass sie bereit war, wieder zur Nadel zu greifen. Jetzt hatte sie ein Ziel vor Augen, einen Grund zu bleiben: Sie würde den Spitzenklöpplerinnen von Glenmara ungeachtet ihrer eigenen Zweifel und Aileens Argwohn helfen.
    Sie bewegte die Finger zum Ticken der Uhr und freute sich schon auf den Tanz, der beginnen würde, sobald Schere, Nadel und Faden etwas Neues schufen. Die Frauen waren nach Hause gegangen, um ihre Unterwäsche zu holen; Colleen
würde ihre Nähmaschine bringen, weil sie für die Abschlussarbeiten vielleicht eine zweite

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