Rueckkehr nach Glenmara
gefallen, was?«
»Oder du könntest die Krone später tragen.«
»Später?«, wiederholte sie flirtend.
Alles passte, ihre Worte, ihre Bewegungen, wie es nur am Anfang möglich ist, wenn noch nichts auf dem Spiel steht und man sich noch nicht gut genug kennt für komplizierte Situationen.
BILD SIEBZEHN
Gesang fürs Meer
C olleen glaubte, sich im Lauf ihrer Ehe ans Warten gewöhnt zu haben, doch um sechs hielt sie es schließlich nicht mehr aus. Alles erinnerte sie daran, wie spät Finn dran war und dass Boote sinken konnten: das Ticken der Uhr, das Tropfen des Wasserhahns, der Windstoß, der draußen den ans Geländer gelehnten Stuhl umwarf, der Sturm, der auf dem Meer die Wellen hochpeitschte.
Sie hatte Finn angefleht, nicht hinauszufahren, weil das Boot kaum noch seetauglich war. Früher hatten Messing und Holz geglänzt und die feinen Maserungen an eine elegante Schrift erinnert. Sie hatte ihm geholfen, das Boot auf Vordermann zu bringen, und sich trotz der Schutzhandschuhe die Hände mit dem Lösungsmittel ruiniert. Es war die Mühe wert gewesen. Er hatte es nach ihr benannt: The Fair Colleen.
Oft stritten sie sich nicht, doch wenn es geschah, ging es heftig zu, und der Zorn machte sie zu Fremden. Diesmal hatte er ihr einfach den Rücken zugewandt und die Tür zugeschlagen, und sie war ihm nicht nachgelaufen. In ihrer Wut hatte sie auf Töpfe geschlagen und ihn beschimpft – ohne es so zu meinen.
Vielleicht hätte sie die Tür öffnen, ihm nachrufen sollen. Doch wahrscheinlich wäre er noch zu wütend gewesen, ihr zuzuhören. Es tat ihr leid, dass sie ihn verrückt und sein Boot ein Stück Scheiße genannt hatte.
Sie wollte nicht recht haben. Diesmal nicht.
Sie hantierte in der Küche herum, buk den Rhabarberkuchen, den er so gern mochte, putzte das Haus von oben bis unten und schaltete voller Hoffnung immer wieder den Staubsauger aus, um auf seinen Schritt oder sein Lachen zu lauschen.
Doch er kam nicht.
Die Uhr tickte weiter, die Zeiger auf der halben und der vollen Stunde. Colleen ging zur Bucht hinunter, an den knospenden Weinrosenhecken vorbei, deren nach Äpfeln duftende Blüten er bei ihrem ersten Spaziergang für sie gepflückt hatte. Damals, in jenem Sommer, waren sie noch so jung gewesen und so verliebt und hatten jede freie Minute miteinander verbracht. – Vor ihrer ersten Fischereisaison im Herbst, in der sie lernen mussten, tagelang getrennt zu sein.
Sie hatte sich nie an diese Trennungen gewöhnt, daran, auf dem Pier zu stehen wie jetzt und nach ihm Ausschau zu halten am leeren, wolkenverhangenen, allmählich dunkel werdenden Horizont. Sie lauschte auf das Schnappen der Leinen, das Knarren von Holz. Straßen und Hafen waren um diese Stunde menschenleer, weil alle entweder feierten oder zu Hause zu Abend aßen, fernsahen, stritten oder sich liebten, was auch immer. Alle außer ihr.
Wo bist du?
Er nannte sie seine Galionsfigur, behauptete, dass er sie
sehen könne, wenn er um den Felsen herum in die Bucht fahre. Genau wie damals am ersten Tag, als ihr nun silbernes Haar noch braun in der Sonne glänzte. Trotz ihrer Falten fand er sie schön wie einst. Sie sei seine Konstante, pflegte er zu sagen.
Und würde es immer bleiben.
Noch war nichts verloren. Solche Gedanken durfte sie nicht zulassen.
Sie trug Mütze, Handschuhe und Wollmantel, darunter eine Strickjacke, Jeans und Stiefel gegen die Kälte und die Spitze, die ihre Freundinnen für sie geklöppelt hatten, Spitze in der Farbe des Meeres, mit Seesternen und Nixen, Spitze, die ihr das Gefühl gab, einfach ins Wasser springen, zu ihm schwimmen und ihn nach Hause locken zu können.
Wo bist du?
Er hätte schon seit Stunden zurück sein sollen. Ein anderes Boot war hinausgefahren, um nach ihm zu suchen; bisher hatte sie keine Nachricht erhalten. Sie wussten nicht, wo er war, weil er nie Pläne machte, den Fischen und seinem Instinkt folgte. Wenn sie doch nur einen Hubschrauber hinausgeschickt hätten, doch dazu war es noch zu früh, und außerdem hätte der des Windes wegen ohnehin nicht starten können. Auch über Funk erreichte ihn niemand, denn seine Geräte funktionierten nicht mehr so gut.
Sie starrte hinaus aufs Wasser. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als sie für die Wellen sang und sie ihr antworteten. Ihre Großmutter behauptete gern, die Frauen aus dem väterlichen Zweig der Familie hätten Meerwasser in den Adern, dank einer selkie , die an Land gekommen war, um ihren Ururgroßvater zu heiraten und dann wieder
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