Rueckkehr nach Glenmara
Falle eines Falles mit Händen und Füßen gegen einen Klinikaufenthalt zu wehren.
Doch jetzt war sie da, wegen Moira. Aileen zählte die Flecken an der Decke, die Fliesen auf dem Boden, die Knöpfe an den Monitoren und die Luftblasen in der Flüssigkeit, die ihrer Schwester intravenös verabreicht wurde. »Wann wacht sie wieder auf?«, fragte sie die Krankenschwester.
Niemand konnte ihr eine eindeutige Antwort geben. Das wird sich zeigen , sagten sie.
Aileen untersuchte Moiras Gesicht nach Veränderungen, achtete auf jedes Heben und Senken der Brust, jedes Zucken der Lippen, der Augen, der Finger. Sie ergriff eine Hand und hielt sie, wie damals, als Moira noch ein kleines Mädchen war und sie als ältere Schwester ihr Ratschläge und Sicherheit gab, mit ihr die Straße entlanghüpfte oder alberne Lieder sang, wenn sie sich unbelauscht fühlte, denn eigentlich war Aileen schon zu alt für so etwas.
Aileen döste ein und schreckte hoch, als ihr Kopf zur Seite sank. Sie war erschöpft, gönnte sich aber keine längeren Ruhepausen. Das Licht flackerte. Sie und Moira befanden sich in einer Schattenwelt, einem labilen Ort des Wartens und der Ungewissheit. Irgendwann ging dann die Sonne auf und brachte so etwas wie Licht in die Welt.
»Ailey?«, murmelte Moira, allmählich erwachend.
»Gott sei Dank«, sagte Aileen.
»Hab ich geschlafen?«
»So kann man es auch nennen.«
»Warum bin ich im Krankenhaus?«, fragte Moira.
»Weißt du nicht mehr?« Aileen versuchte herauszufinden, an wie viel Moira sich noch erinnerte beziehungsweise erinnern wollte.
»Mir kommt es wie ein Traum vor«, sagte sie mit matter Stimme.
»In Träumen bricht man sich keine Knochen.«
Moira richtete den Blick auf eine Ecke des Raums. »Nein, vermutlich nicht.«
Aileen schwieg eine Weile. »Die Polizei sucht nach ihm.«
»Tatsächlich?«
»Aber er wurde noch nicht gefunden.«
»Er könnte überall sein.«
»Ja.« Zum Beispiel draußen auf dem Parkplatz. Oder auf einer Fähre nach England.
»Wirst du diesmal Anzeige erstatten?«, fragte Aileen. »Den Kindern zuliebe?«
»Haben sie was mitbekommen?«
»Nur Sorcha.«
Eine Träne rollte über Moiras Wange. »Wie geht’s ihr?«
»Ich hab Dee-dee angerufen. Sie ist bei ihnen. Sorcha hat schreckliche Angst. Sie muss wissen, dass ihr nichts passieren kann. Machst du’s?«
Moira schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Er ist weg, endgültig. Er weiß, was er getan hat.«
Aileen verdrehte die Augen. Was musste passieren, dass
Moira Anzeige erstattete? »Bis jetzt ist er noch jedes Mal zurückgekommen.« Und Moira hatte ihm jedes Mal wieder verziehen, mit der Begründung, nun würde alles anders werden, auch wenn alles beim Alten blieb.
»Diesmal nicht, das hab ich in seinem Gesicht gelesen. Er ist zu weit gegangen, und das weiß er auch«, sagte Moira, ohne Aileen in die Augen zu blicken. Es war ihr Leben. Niemand konnte ihr vorschreiben, wie sie es zu führen hatte. »Du verstehst das nicht. Du warst nicht dabei.«
Aileen sah einen Ausdruck des Bedauerns über ihr Gesicht huschen. »Du lässt ihn doch nicht etwa wieder rein, wenn er zurückkommt?«, fragte sie. »Versprich mir, dass du das nicht tust.«
»Er ist kein schlechter Mensch …« Sie und Cillian würden sich möglicherweise trennen, jedoch nicht scheiden lassen. Niemals.
»Ich weiß, Moi, ich weiß. Aber diesmal hätte er dich beinahe umgebracht. Wenn du dich sehen könntest …« Sie fühlte sich versucht, Moira einen Spiegel vors Gesicht zu halten, doch würde sie dann die Realität erkennen? Aileen bezweifelte es. »Du darfst ihn nicht weiter verteidigen. Nicht nach allem, was er dir angetan hat.«
Ihre Schwester hatte Gott versprochen, für das Gelingen der Ehe zu sorgen, und wenn es sie das Leben kostete. In gewisser Hinsicht war sie die Katholischste in ihrer durch und durch katholischen Familie. »Wir haben geschworen: Bis dass der Tod uns scheidet. «
»Der natürliche, nicht der durch seine Hand. In einem Fall wie deinem gilt der Schwur nicht mehr.«
»Sagt das der Pfarrer?«
»Das ist mir scheißegal«, zischte Aileen. »Ich bin völlig erschöpft nach der Nacht an deinem Bett, in der ich mich die ganze Zeit gefragt habe, ob du wieder aufwachst und in der Lage sein wirst zu gehen. Dann bleib in Gottes Namen mit dem Schwein verheiratet. Aber lass ihn um Himmels willen nicht mehr ins Haus und in deine Nähe. Deine Kinder brauchen dich, und ich brauche dich auch, und zwar lebendig.« Sie vergrub das Gesicht
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