Rückkehr nach St. Elwine
wollte schon zurück weichen. Doch Josh klammerte sich an ihr fest wie ein Ertrinkender. Merkwürdig, dachte sie in diesem Augenblick. Fast schien es, als könnte nur sie allein seine Sehnsucht stillen. Eine Sehnsucht wonach? Woher kam seine Verzweiflung?
Dann erstarb die Musik, und der Zauber war gebrochen.
Beinahe hastig fuhren sie auseinander.
Jeder versuchte auf seine Art wieder zu Atem zu kommen.
Es stand Hunger in seinen Augen. Doch Elizabeth zwang sich, ihn zu übersehen. Stattdessen sagte sie: "Was verstehst du alles unter brav sein, Tanner?" Unwillkürlich fuhr sie sich mit dem Finger über ihre tauben Lippen.
Vor der Haustür der Gandertons küsste Josh sie ein weiteres Mal. Sanft und behutsam diesmal - fast freundschaftlich. Aber eben nur fast, dachte sich Elizabeth und hoffte, dass Rachel nicht irgendwo hinter den Gardinen hockte.
Josh wollte sich nicht noch einmal so verlieren wie vorhin. Das war gefährlich, viel zu gefährlich. Er musste alles unter Kontrolle haben, das allein war wichtig. Deshalb ließ er rasch von ihr ab.
Sie geriet fast ins Stolpern und taumelte ein wenig.
Er stieg in seinen Wagen und fuhr los.
Liz ahnte nicht, welche Mühe ihn das kostete. Jetzt lag sie in dem großen Bett, und ihre Gefühle fuhren Achterbahn.
Zum Teufel mit Joshua Tanner! Er würde nur mit ihr spielen wollen. So, wie er es immer getan hatte. Sie war entschlossen, nicht mehr an diesen einen Kuss zu denken. Diesen einen, der im Stande gewesen war, all ihre Vernunft über Bord zu schmeißen. Und zwar ganz einfach so .
Sie durfte nicht vergessen, dass küssen, rein medizinisch gesehen, nur ein Austausch von Körperflüssigkeiten war, sagte Elizabeth sich. Mit dieser Definition vor Augen war sie in der Lage, Tanner mitsamt seinen Mund aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Und genau das würde sie auch tun. Den Kuss hatte es nie gegeben, basta. Sie musste schließlich vernünftig bleiben. Das hatte doch bisher in ihrem Leben bestens geklappt.
10. Kapitel
Es folgte eine anstrengende Arbeitswoche. Die Touristensaison war nun in vollem Gange. Elizabeths tägliches Pensum war keinesfalls so klein, wie Rachel es ihr anfangs geschildert hatte. Doch ihre Aufgaben ließen sich noch beherrschen. Die alljährlich stattfindende Regatta führte zu einem noch größeren Andrang von Urlaubern. Was sich deutlich an der Anzahl der Patienten in der Notaufnahme widerspiegelte.
In einem Hotel war minderwertiges Fleisch verarbeitet worden. Eine Lebensmittelvergiftung führte zu heftigen Beschwerden bei einer Vielzahl der Gäste, und Liz musste die unangenehme Aufgabe übernehmen, die Ausscheidungen der Patienten zu überwachen.
Josh hatte wohl ein paar Mal versucht, sie zu erreichen, wie man ihr ausgerichtet hatte. Aber Liz dachte nicht viel an ihn. Dafür hatte sie viel zu viel um die Ohren. Ihre Patienten brauchten sie schließlich frisch und ausgeruht.
Rachels Fragen nach dem Date hatte sie geschickt umschiffen können. Ihre Freundin hatte wohl tatsächlich hinter den Gardinen gestanden, wie Liz einer frivolen Bemerkung von ihr entnahm. Na, wenn schon. Immerhin besaß sie so viel Anstand, nicht weiter darauf einzugehen. Welch Wunder bei Elizabeths abweisender Miene.
Heute war nun dieser schreckliche Unfall geschehen. Beim Spielen auf der Yacht seiner Eltern war ein Kind ausgeglitten und ins Meer gestürzt. Trotz sofort eingeleiteter Rettungsmaßnahmen, war ihr der Kleine in der Notaufnahme unter den Fingern weggestorben. Sie hatte den Zeitpunkt des Todes benennen müssen, und ihr Herz hatte einen schmerzhaften Schlag getan. Eine eiskalte Hand hatte danach gegriffen und hielt es für den Rest des Tages fest umklammert.
Liz schob sich geistesabwesend ein Sandwich in den Mund. Sie zog jetzt ihren Badeanzug an und stieg in bequeme Shorts. Dann machte sie sich auf den Weg zum Strand. Der Sand unter ihren Füßen speicherte noch die Wärme der heißen Mittagssonne. Tja, die Sonne zog auch an diesem Tag ihre Bahn, als wäre nichts geschehen. Völlig unbeeindruckt von dem Unglück der Eltern, die heute ihr Kind verloren hatten. Ihren einzigen Sohn.
Liz war immer noch tief traurig. Sie nahm den Tod dieses Kindes persönlich. Und zwar als das, was es ihrer Meinung nach, war: eine schwere Niederlage. Es hatte nicht in ihrer Macht gelegen, den Jungen zurückzuholen. Aber sie war schon immer eine schlechte Verliererin gewesen, und so fluchte sie jetzt laut. Hier konnte sie ohnehin niemand hören. Liz streifte sich die
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