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Rücksichtslos

Rücksichtslos

Titel: Rücksichtslos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Slottke
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Abendessen, reichlich aufgebackene Brötchen und Wurst, war auch heute von Karl gebracht worden. Sie hatte ihn stumm fixiert, und er hatte das Tablett fast auf den kleinen Tisch geworfen. Diese Szene hatte sie in ihrem Beschluss bekräftigt, heute ihren Ausbruchsversuch zu wagen. Wer wusste schon, ob es an S i lvester wirklich so laut war, dass niemand den Krach hören würde. Von dem, was sie mitbekommen hatte, konnte sich Kira kaum vorstellen, dass sich dieses Haus in einer dicht bewohnten Siedlung befand.
    Um Mitternacht stand sie entschlossen auf und drehte die Kamera zur Seite. In ihrem Zimmer war es bis auf die kleine Lampe über dem Waschbecken dunkel. Mit Absicht, damit sich ihre Augen schon etwas an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Dann zog sie sich einen dicken Pullover an. Ihre Jacke knotete sie mithilfe der Ärmel zu einem Bündel zusammen und legte sie in den Papierkorb, den sie neben die Glastür stellte. Kira befürchtete, dass zu dicke Kleidung sie behindern würde.
    Anschließend griff sie nach dem Stuhl. Nachdem sie ein paar Mal tief ein- und ausgeatmet hatte, schmetterte sie ihn mit aller Gewalt gegen die Scheibe. Diese ging laut klirrend zu Bruch. Instinktiv kniff sie ihre Augen zusammen. Sekundenbruchteile später öffnete sie sie wieder. Ja! Fast die gesamte Scheibe war zerbrochen.
    Sie warf den Stuhl in den kleinen Hof, griff nach dem Papierkorb und kletterte schnell, aber vorsichtig durch die zerstörte Tür. Dann hob sie den Stuhl auf und stellte ihn gegenüber an die hohe Mauer. Ihre Jacke schmiss sie mit hohem Bogen darüber und hörte, wie sie leise auf dem Boden aufkam. Den Mülleimer stellte sie verkehrt herum auf die Sitzfläche und erklomm rasch hintereinander beides. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben fluchte sie über ihre geringe Körpergröße. Doch als sie auf den Zehenspitzen stand, konnte sie mit beiden Händen auf die Mauer greifen und sich festhalten. Nun machten sich ihre gymnastischen Übungen der letzten Tage bezahlt. Sie sprang ab und schwang gleichzeitig ihr rechtes Bein hoch. Unter ihr krachte der kleine Turm zusammen, doch sie schenkte dem keinerlei Beachtung.
    Mit aller Kraft zog sie sich hoch. Ihr kleines Bäuchlein schrammte an der Mauer entlang. Doch sie vertraute darauf, dass ihr Kind in der Fruchthülle gut gepolstert war. Kira ließ sich sofort auf der anderen Seite herabhängen und hätte vor Freude beinahe gejuchzt. Die Mauer war auf dieser Seite nur etwa einen Meter hoch. Doch es war stockdunkel. Sie tastete nach ihrer Jacke und schlüpfte sofort hinein. Es war kalt. Und überall lag Schnee. Nachdem sie anfangs langsam vorwärts ging, da sie gleichzeitig die Umgebung prüfte, wurde sie nach einigen Metern rasch schneller. Der Mond schimmerte durch die Wolken und der weiße Schnee ließ alles heller erscheinen, da er das Mondlicht reflektierte. Kira hastete voran. Nach einigen Metern gelangte sie an einen Maschendrahtzaun, den sie mit zittrigen Händen hochbog und sich unter ihm hindurchschlängelte. Die Jacke blieb am Zaun hängen und Kira zog mit aller Gewalt daran. Es ratschte und die Jacke riss. Doch sie war frei.
    Weiter! Schneller! Kurz nach dem Zaun begann Wald. Wald? Wo war sie? Sie rannte weiter. Stolperte. Rappelte sich auf. Die Bäume verschluckten fast alles von dem Mondlicht und sie kam nun deutlich langsamer voran.
    Plötzlich hörte Kira ein Geräusch, und sie hielt kurz inne. Das Bellen eines Hundes. Sie warf einen Blick hinter sich und sah den Lichtstrahl einer großen Taschenlampe, der den Waldrand absuchte. Verdammt! Man hatte ihre Flucht entdeckt. Doch sie hoffte noch immer darauf, dass dieser Karl zu blöd war, sie zu finden. Atemlos rannte sie weiter. Äste schlugen ihr ins Gesicht. Ihre Lungen brannten. Plötzlich stand sie in einem Lichtkegel und eine Stimme schrie: „Bleib stehen, sonst hetze ich den Hund auf dich!“
    Kiras Herz rutschte eine Etage tiefer. Das war nicht Karl, sondern der große Vermummte, der hier bestimmte. Wann war der denn zurückgekommen? Im Schein der Lampe sah sie einen größeren Hund an einer Leine hin- und herlaufen. Den Mann selbst konnte sie nicht erkennen. Sie überlegte blitzschnell. Wie groß waren ihre Chancen, aus dem Wald herauszukommen? Mit dem Hund im Nacken gleich null. Aber wenn sie in das Haus zurückging, musste sie sterben. Da war sie sich sicher. Das spürte sie intuitiv. Also drehte sie sich um und rannte wieder los, so schnell sie konnte. Hoffentlich hatte sie Glück.
    Keine halbe Minute

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