Rücksichtslos
„Gestern erzähltest du etwas von Erbkrankheiten. Doch dein Kollege meinte, hier würden Experimente mit Viren betrieben werden.“
„ Ja. Ich forsche derzeit an Möglichkeiten, muskuläre Erbkrank heiten zu heilen, beziehungsweise sie erst gar nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Dazu führe ich Tier versuche mit Spumaviren durch.“
„ Aha.“ Katharina wollte nicht weiterfragen, sondern schwenkte auf ihre aktuellen Fälle um.
„ Also, warum wir hier sind. Wie du aus der Zeitung weißt, unter suchen mein Kollege und ich den Mord an der Toten an der Griesheimer Schleuse. Vergangene Woche wurde eine weitere Frau ermordet.“ Sie machte eine Pause und wartete Hagens Reaktion ab.
„ Die im Park?“, fragte er, nun noch neugieriger.
„ Ja. Und im Rahmen dieser Morde sind wir in den Besitz einer Spritze gekommen.“ Wie, brauchte er nicht wissen. „Und in dieser Spritze befinden sich, wie dein Kollege heraus gefunden hat, Herpesviren.“
Jürgen Hagen blickte sie erstaunt an. Für den Bruchteil einer Sekunde flatterten seine Augenlider. Kaum merklich. Wenn sie ihn nicht so genau beobachtet hätte, wäre es ihr überhaupt nicht aufgefallen. Katharina sprach langsam weiter.
„ Und jetzt überlegen wir uns, wie der Inhalt dieser Spritze und die toten Frauen zusammenpassen.“
„ Tut mir leid. Da kann ich euch auch nicht weiterhelfen.“ Die Antwort kam prompt. „Aber sobald mir etwas einfällt, gebe ich dir Bescheid.“ Er blickte auf seine Uhr. „Ich muss weiter. Meine Arbeit ruft. Der eine Versuchslauf müsste fertig sein, da darf ich nicht zu spät kommen. Tschüss.“
Und weg war er. Katharina und Thomas konnten ihm eben noch ein Tschüss hinterherrufen, da war er schon ver schwunden.
„ Wollte er uns nicht hinausbegleiten?“, fragte Katharina.
„ Hm, ja. Eigentlich schon. Er hatte es auf einmal ziemlich eilig. Seltsam.“ Thomas blickte noch immer nachdenklich auf die Tür, die laut hinter Jürgen Hagen zugeschlagen war. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
„ Und wie bist du noch mal mit ihm bekannt?“
„ Er ist mit Philipp in die Schule gegangen. Vor zwei Wochen haben sie sich hier an der Uni zufällig auf einer Weihnachts feier getroffen.“
„ Na. Von mir aus. Komm. Wir finden hier auch allein raus.“
Nachdem sie das Gebäude verlassen hatten, zogen sie sofort ihre Jacken wieder an. Zwar schien die Sonne und es hatte begonnen, zu tauen, doch ein bis zwei Grad über null waren kalt genug.
„ Komischer Kerl“, meinte Thomas, als sie wieder im Auto saßen.
„ Du hast recht. Irgendwie schon. Aber ich glaube, das ist seine Art“, antwortete Katharina und erzählte von Hagens komischem Benehmen seiner Frau gegenüber.
„ Kann sein. Ich bin mal gespannt, ob wir noch mal was von ihm hören. Und vor allem, wann von Ekttols.“
Er ließ den Motor an und steuerte den Wagen vom Parkplatz des Campus.
*
„ Mitkommen!“
Die Tür wurde aufgerissen und diese Kowatz stand da. Heute hatte Kira den ganzen Tag noch niemanden gesehen. Man hatte ihr weder Essen noch Trinken gebracht. Ihren Durst hatte sie am Wasserhahn gestillt. Das Zimmer sah genauso aus wie ihr altes. Nur fühlte sie sich hier noch einsamer, da sie den ganzen Tag nichts zu tun hatte. Nichts zu lesen, keine Rätselheftchen. Einfach nichts. Die Stunden hatten sich dahingeschleppt, und ihre Verzweiflung hatte mehr und mehr zugenommen. Wollte man sie verhungern lassen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Nicht, bevor das Baby da war, das ahnte sie instinktiv. Oder etwa doch?
Als sie nun aufstand, wurde ihr im ersten Moment schwarz vor Augen, und sie musste sich an der Wand abstützen. Neben Kowatz stand Karl und wartete. Doch er sah zur Seite, als Kira seine Augen suchte. Die Hebamme lief bereits vor. Er wartete, bis Kira an ihm vorbei war.
„ Wenn ich sterbe, bist du schuld“, flüsterte Kira ihm zu. Sie wusste nicht, was für ein Teufel sie ritt. Aber zu verlieren hatte sie nichts. Ihr Leben war vorbei. Karl zuckte bei diesen Worten beinahe unmerklich zusammen.
Kira wurde wieder zu dem Untersuchungszimmer geführt. Heute ließ es sie kalt. In den vergangenen Stunden hatte sie nach und nach mit allem abgeschlossen. Je weiter sie ging, desto mehr zerbrach etwas in ihr. Und als sie mit entblößtem Unterkörper auf dem Untersuchungsstuhl Platz nahm, fühlte sie sich, als hätte ihre Seele den Körper verlassen. Es kam ihr vor, als würde sie alles von oben betrachten. Als würde ihre Seele unter der Decke schweben
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