Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
das gesamte Werk durchzieht. Seine Beschreibung der Hypnose eines Gefangenen leidet unter ständigen, verwirrenden Hinweisen auf »Arbeitsspeicher«, »Festplattenspeicher« und »Diskettenlaufwerk« des Patienten; und seine Schlussfolgerung, dass »das Hypnotisieren solcher Patienten ist, als würde man Super Mario Brothers auf einem Pentium spielen«, lässt den Leser ratlos zurück. Kritisiert wurde Rice auch für folgende Äußerung: »Während wir den Patienten in manchen Fällen Chip für Chip upgraden können, empfiehlt es sich in anderen Fällen, ihn einfach durch ein anderes Modell zu ersetzen.«
18 Unter anderem zitiert in Joanna Culver: Die Sündenziege – eine Geschichte des Unrechts gegen Frauen (Paper Fan Press 1981).
19 Vgl. zum Beispiel J. A. Dawson: Blaue Gene: Warum uns alte Lieder traurig machen. Diese Theorie wird jedoch bestritten in Aloisi: Paranormalität.
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Weihnachten bei den Kristals
Wie befürchtet waren die nächsten zwei Jahre meiner Karriere von einem irreführenden Ruhm geprägt, der schon fast an Verrufenheit grenzte. Zumindest war das die Auffassung vieler Kollegem am Lakelands Institute, die nicht müde wurden, auf den Gegensatz zwischen der Rationalität meiner normalen Methoden und dem angeblichen mondsüchtigen Mystizismus meines größten Erfolgs hinzuweisen. In der Regel waren diese Sticheleien so unbeschwert wie die Witze über meine nach wie vor populären romantischen Fehlschläge, und die beiden Themen liefen nebeneinanderher wie neue und alte Staffeln einer Fernsehserie. Ich bekam guatemaltekische Glückspuppen zum Geburtstag, und die Leute lasen mir in gespieltem Ernst gefälschte Horoskope vor, die mir rieten, sich bietende Chancen zu nutzen, weil Jupiter mit Mars zusammentraf, oder keinen Fuß in Tacobars zu setzen, weil Venus auf dem Kriegspfad war. Doch wie die Menschen schon lange vor Freud erkannt haben, sind Witze ein gutes Mittel, um unerfreuliche Wahrheiten auszudrücken.
Neid auf meine Einladungen zu Talkshows und auf die Anfragen immer exotischerer Klienten war nicht das eigentliche Problem. Entscheidend war, dass ich durch den Gewinn dieser Lotteriepreise meines Berufs auch die Erwartungen der Patienten an die Psychotherapie verändert hatte, an das, was sozusagen das Markenzeichen meines Standes war. Die Menschen erhofften, ja verlangten immer häufiger holistische Therapien, die unbeschwert die Fakten ihrer bisherigen Existenz berücksichtigten und, statt ihr Wesen und ihre Erziehung zu erforschen, furchtlos den Sprung ins Jenseits wagten, um Nachrichten aus früheren Leben zu bringen, die ihren übersinnlichen Schatten auf das Heute warfen. In völliger Verdrehung des Kausalitätsdenkens, für das ich mich so stark eingesetzt hatte, versuchten die Patienten, über derartige Fantasievorstellungen ihre gegenwärtigen Beschwerden mit längst begrabenen Alter Egos zu verknüpfen. Ihren Höhepunkt erreichte die Krise, als Simon Stacey die Behandlung eines Patienten nach einem halben Jahr abbrechen musste, weil der Mann, ein Zahnarzt mit ganz gewöhnlichen Depressionen, sich nicht davon abbringen ließ, dass seine melancholischen Anwandlungen auf sein früheres Leben als irischer Einbalsamierer zurückzuführen waren.
Simon war nicht der einzige Kollege, der unglücklich über den Wandel der Spielregeln und zornig auf mich war, weil ich derjenige zu sein schien, der sie umgeschrieben hatte. Da halfen auch meine Beteuerungen nichts, dass sich an meinen Überzeugungen nichts geändert hatte und dass Lilys Fall in den Medienberichten falsch dargestellt worden war. Obwohl ich so wenig wie nur möglich im Fernsehen auftrat, auf den Einsatz von Hypnose völlig verzichtete und zahllose Briefe veröffentlichte, um meinen Namen von der Hippie-Assoziation zu befreien – unter anderem einen im British Journal of Psychiatry , nachdem man mich dort als »zum Medizinmann mutierten Mediziner« bezeichnet hatte –, wurde die Atmosphäre immer aggressiver. Als der Zahnarzt aus der Praxis marschierte, um ein Bestattungsunternehmen zu gründen, machte ich den Fehler, Simon mein Mitgefühl auszudrücken, und der Damm der angestauten Feindseligkeit brach.
»Herzlichen Dank für deine Anteilnahme, Pete«, fauchte er. Dann warf er seine Papiere in eine Aktentasche und knallte sie zu. Der Arbeitstag war noch nicht zu Ende, doch mit dieser Geste brachte er häufig eine Verachtung zum Ausdruck, die so stark war, dass ihn eine unbezwingbare Rastlosigkeit packte. Nie hatte man
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