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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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Abend. Ohne sich die geringste Überraschung anmerken zu lassen, nahm Richard die Szenerie zur Kenntnis und begrüßte Lily wie eine regelmäßige Besucherin. Als sie mit leichtem Geplauder antwortete, erinnerte ich mich mit irrationalem Missfallen, dass sie sich schon (wenn auch nur kurz) begegnet waren, bevor ich überhaupt in New York eingetroffen war.
    »Wir haben bloß ein paar Dinge durchgearbeitet«, erklärte Lily. Ich hatte das Gefühl, dass sie und Richard einen verstohlenen Blick tauschten, als wäre der ganze Zirkus meine Idee gewesen.
    »Und? Hat es was geholfen?« Wie schon bei dem Gespräch mit mir schaffte es Richard, wirklich interessiert zu klingen und sogar zu sein, aber trotzdem einen Hauch von humorvoller Skepsis anzudeuten, der zwar für Außenstehende nicht wahrnehmbar, für mich aber umso ärgerlicher war. Was den vielsagenden Tonfall und das gewisse Stocken in der Stimme betraf, war Richard zweifellos ein Genie. Schon dafür hatte er damals in der Schulaufführung die Rolle in Macbeth verdient.
    »Ich glaube, wir haben erreicht, was wir wollten«, antwortete ich beherrscht.
    Richard ging nicht weiter darauf ein, sondern stellte nur Donna eine rasche, leise Frage. Während sie loszog, um irgendwas zu suchen, warf er seine Jacke lässig auf die Couch und fragte Lily nach der Vorstellung. Sie erzählte von der Absage, und es folgte ein kurzer Standardaustausch über das Wetter. Dann kamen sie wieder auf das Stück zurück, und Richard sagte: »Neulich habe ich – wie heißt sie? Victoria? – gesehen. Ihre Zweitbesetzung.«
    »Ach ja?« Lilys besondere Höflichkeit ließ keinen Zweifel an ihrer Abneigung.
    »Irgendwas im Fernsehen«, erwiderte Richard. »So ein Gerichtsfilm. Ich fand sie hervorragend.«
    »Sie hat ein oder zwei solche Sachen gemacht, glaube ich. Wir kennen uns eigentlich …«
    »Bestimmt wartet sie schon auf ihren Auftritt – hinter den Kulissen sozusagen!« Das Wortspiel war Richard sicher nicht zufällig herausgerutscht. »Sie wartet auf ihre große Chance.«
    »Sie kriegt ihre Chance, falls ich krank werde.« Lilys Ton wurde reservierter. »Oder wenn mir was zustößt.«
    Schweigen entstand. Lily musterte Richard mit rechtschaffener Verachtung, die er jedoch genoss. Ich zermarterte mir das Gehirn nach einer Bemerkung, um das Thema zu wechseln, und klapperte mehrere Möglichkeiten ab – das Wetter war schon abgehakt, und auf Richards juristischen Triumph hatte ich keine Lust. Schließlich murmelte ich etwas von Kopfschmerzen, auf die ich nach den Ereignissen der letzten Tage einen Anspruch zu haben glaubte. Der peinliche Moment war damit vorüber, aber Lily würde ihn bestimmt nicht so schnell verwinden.
    Tatsächlich konzentrierte sich unser Gespräch in dem Taxi, das ich Lily bestellt hatte, auf Richards unverständliche Elogen auf Victoria Dobson. »So eine Bemerkung ist das Letzte, was ich am Abend vor einer wichtigen Vorstellung hören möchte«, beschwerte sich Lily.
    »Ich weiß nicht, warum er das erwähnt hat«, sagte ich wahrheitsgemäß.
    »Ich glaube, er wollte mich bloß aus der Fassung bringen«, meinte sie.
    »Das denke ich nicht.« Erstaunt registrierte ich die zwanghafte Loyalität, die ich noch immer für meinen Freund empfand. »Er ist ein guter Kerl. Manchmal wirkt er ein bisschen … herablassend, weil er alles weiß. Aber das ist keine Absicht.«
    »Er hält große Stücke auf dich.«
    »Na ja, wir kennen uns schon seit vielen, vielen Jahren.«
    »Nein, das meine ich nicht. Er hat wirklich Respekt vor dir«, beharrte sie. Aus meiner Sicht hatte es dafür in letzter Zeit kaum Anzeichen gegeben, doch anscheinend brauchte es nur das feine Gespür einer Frau, um das zu erkennen. »Und … das Gleiche gilt auch für mich.«
    Auf dem regendunklen Gehsteig vor ihrer Wohnung dankte sie mir ereut für meine Hilfe. Dann schüttelten wir uns die Hand, umarmten uns mit der linkischen Vertrautheit eines ehemaligen Paars und ließen uns fast zu einem tastenden Kuss hinreißen, ehe wir zurückwichen. Voneinander getrennt standen wir eine Weile schweigend da, beide versunken in Gedanken über die Tage unserer sonderbaren, beruflich-persönlichen Intimität und auf der Suche nach einer passenden Abschiedsbemerkung. Da mir nichts einfiel, wünschte ich ihr eine gute Nacht und viel Glück und machte mich auf den Heimweg.
    SINGENDER SEELENARZT SCHLÄGT FLUCH IN DIE FLUCHT
    USA Today , 26. Mai 1986
    Die britische Schauspielerin Lily Ripley äußerte sich voller

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