Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
Kinder
erste sexuelle Begegnung im Alter von dreizehn mit Fünfundzwanzigjähriger
lernt 1986 Michael Streissman kennen
weiter im Kennedy-Onassis-Heim
klettert über Zaun, um sich Zutritt zu Leichtathletikclub zu verschaffen
lässt sich nicht abwimmeln, beeindruckt Trainer mit außergewöhnlichen Sprintfähigkeiten
wird gegen Widerstand in Club aufgenommen
vertritt Club bei örtlichen Wettkämpfen und erringt viele Siege
wird für Meisterschaft des Staates New York ausgewählt; sorgt für Aufruhr durch unerlaubtes Bahnkreuzen, zu dem ihn Streissman aufgefordert hat
zweijährige Wettkampfsperre; bleibt dank Unterstützung des leitenden Trainers Frank Macguire Clubmitglied
setzt Training unter Macguires Aufsicht fort
verlässt Kennedy-Onassis-Heim, mietet Wohnung in Brooklyn von einem Freund Macguires, finanziert von Sportclub
wird von Streissman beschimpft wegen:
Rasse
schlechter Erziehung
Lebensstil
droht, Streissman zu töten
kehrt zurück in Wettkämpfe und gewinnt elf Rennen in Folge (drei Disqualifikationen aufgrund von unorthodoxem Verhalten)
von Club zu Ausscheidungen für Amerikanische Jugendspiele angemeldet
läuft persönliche Bestzeit, qualifiziert sich
wird weiterhin von Streissman verfolgt
erhält Hilfsangebot eines Psychiaters
Wie in so vielen Fällen aus meiner Praxis war Webster Bruce’ Geschichte kein Monolog, sondern ein Zweipersonenstück; der andere Hauptdarsteller war Michael Streissman, der mysteriöse Marionettenspieler, der Bruce ständig überwachte und in völlig unberechenbaren Abständen auftauchte, um an den Fäden zu ziehen und einen Strick daraus zu drehen, mit dem sich Webster erhängen konnte. Schnell und nervös huschte der Blick meines jungen Klienten durch das Büro. In der Hand hielt er ein Glas Wasser, das später in einem Moment der Unkonzentriertheit auf dem Boden zerbarst. Webster beschrieb ausführlich seine zahlreichen Begegnungen mit Streissman: das Lästern und Schmeicheln, die beleidigenden Äußerungen über seine Hautfarbe und seine Herkunft, die zerstörerischen Ideen, zu deren Umsetzung sich Webster verpflichtet fühlte. Was in den Erzählungen jedoch völlig fehlte, waren Details über Streissman – kein Wort über Aussehen, Alter und die genaue Verbindung mit Webster. Als ich Webster aufforderte, seinen Verfolger zu beschreiben, waren die Angaben so wirr, dass Streissman nach einem Fantasiegeschöpf aus einem Kinderbuch klang, das sich aus verschiedenen Tierteilen zusammensetzte. Die einzige konkretere Einzelheit war die Nachahmung der krächzenden Stimme, mit der ihm Streissman Anweisungen zuraunte.
Die körperliche Nichtexistenz des geheimnisvollen Mannes in Websters Kopf war genauso suggestiv wie Websters fahriges Benehmen, das innerhalb von dreißig Sekunden von Liebenswürdigkeit über Argwohn zu offener Feindseligkeit sprang. Schnell gelangte ich zu der Überzeugung, dass Webster an Schizophrenie litt und dass Streissman das Produkt eines unbewussten Selbstzerstörungsdrangs war. Das hätte Webster fast selbst eingeräumt, als ich ihn fragte, ob es seiner Meinung nach eine Möglichkeit gab, Streissman loszuwerden. »Manchmal verschwindet er, wenn ich mich konzentriere.« Es war, als würde eine Hälfte von Websters Gehirn die andere foltern und das Wahnhafte mit aufblitzenden Wahrheiten durchsetzen, sodass er sich gleichzeitig wünschte, dem Mythos seines geistigen Kerkermeisters zu folgen und ihn zurückzuweisen. »Gespaltene Persönlichkeit« ist die verbreitete, aber plumpe Bezeichnung für dieses Phänomen. Das setzt natürlich voraus, dass die meisten Menschen eine einzige, einheitliche Persönlichkeit besitzen. Doch meine Zweifel daran wuchsen mit jedem verstreichenden Jahr und mit jeder Lily Ripley, die von mir betreut wurde.
Manche Schizophrene werden betäubt von der Kakofonie eingebildeter Stimmen, und man konnte immerhin dankbar sein, dass es bei Webster nur eine war. Doch die wache Fantasie, die er selbst bei unserem vorsichtigen ersten Treffen an den Tag legte, verlieh Streissman eine ungewöhnliche, gefährliche Lebendigkeit. Die brutalen Bedingungen, unter denen Webster aufgewachsen war, hätten allein schon genügt, um die Trennung von Geist und (der sicherlich unscharf definierten) Seele zu bewirken, die solche Stimmen hervorruft. Je mehr er mit mir sprach und dabei mit entwaffnender Schnelligkeit zwischen neurotischer Verschlossenheit und redseligem Vertrauen schwankte, desto bestechender erschien mir diese Diagnose. Die entscheidende
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