Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Siegerehrung erschien. Allerdings war es ein wenig frustrierend, dass ich inzwischen viele Klienten hatte, die nur hin und wieder auftauchten, wenn ihnen gerade der Sinn danach stand. Finanziell lohnte es sich (obwohl in Websters Fall kein Geld den Besitzer gewechselt hatte), aber es war ein unbefriedigendes Vorgehen: zwei Stunden, um jahrealtes psychologisches Moos abzutragen, blitzartige Ermittlungen und Schlussfolgerungen. Das Ganze fügte sich zwar nahtlos in meinen Terminkalender, aber mit den langsamen, geduldigen Erkundungen der klassischen Psychotherapie hatte es ungefähr so viel Ähnlichkeit wie Playoffspiele mit der normalen Saison. Statt mir ein paar Wochen Zeit zu lassen, um die Situation gewissenhaft abzuwägen, forderten mich die Patienten auf, aus dem Stand den Schläger zu schwingen und jedes Problem sofort aus dem Spielfeld zu dreschen. Aber die für diese häufigen Tempowechsel notwendige mentale Beweglichkeit war so aufreibend, dass ich keine Kraft mehr für meine eigenen Sorgen fand. Davon abgesehen bekam ich allmählich Übung in der Fastfood-Therapie, denn seit Mitte 1989 antwortete ich in einer Kolumne des Chicago Herald unter dem Titel » PK s Couch« täglich auf kleine Problemanfragen.
    Lieber Dr. Kristal,
    ich nehme seit zwei Jahren Medikamente gegen Depression. Zwar fühle ich mich viel besser, aber ich habe Angst, die Mittel könnten meinen Charakter für immer verändert haben. Wenn ich mich heute glücklich fühle, kann ich mir nicht sicher sein, ob das echtes Glück ist oder nur die Wirkung des Medikaments. Oder was echtes Glück überhaupt ist.
    – Verunsicherter Patient in Portland, Oregon
    PKs PROGNOSE
    Sie haben recht, echtes Glück lässt sich sehr schwer definieren. Die Mittel, die Sie nehmen, haben chemisch auf Ihren Geist eingewirkt, um Ihre Wahrnehmung dessen zu verändern, was normal ist. Also hat sich Ihr Charakter tatsächlich in gewisser Weise für immer verändert. Aber Charakter lässt sich genauso schwer definieren wie Glück, und medikamentös erzeugte Freude ist in jedem Fall besser als nüchternes Elend. Viele Menschen würden gern mit Ihnen tauschen!
    Schon bald nach ihrem Start hatte ich die Nase voll von der Kolumne, aber sosehr ich mich auch bemühte, durch entmutigende Antworten an die Briefschreiber zu erreichen, dass sie wieder eingestellt wurde – gegen ihre Popularität war kein Kraut gewachsen. Je schroffer und pessimistischer meine Auskünfte klangen, desto mehr schwoll mein Postsack an und desto größer wurde meine Anhängerschaft. Von anderen Kummerkastenonkeln wurde ich für meine »strenge Liebe« und von klugschwätzenden Kommentatoren für meine »schalkhafte Kritik der Therapie nach Schema F« gepriesen. Wieder einmal kaschierte der vordergründige Erfolg ein unerfülltes Berufsleben, in dem ich eine zunehmende Zahl Patienten mit zunehmender Oberflächlichkeit behandeln musste. Ich fragte mich, ob Richard damals in New York ähnliche Unzufriedenheit gespürt hatte, als ich ihn um seine unanfechtbare Position beneidete. Allerdings hatte Richard einen kontrollierteren Weg zum Ruhm eingeschlagen und dessen Fallstricke weitgehend vermieden. Außerdem hatte er auch ein Leben außerhalb der Praxis und – seit nunmehr zwei Jahren – eine wunder schöne Ehefrau: Christy, die frühere Journalistin, die inzwischen Chefredakteurin eines Verbunds von sechs Zeitschriften sowie Modeberaterin eines Hollywoodstudios war.
    Lieber Dr. Kristal,
    ich bin seit fünf Jahren mit »Joanna« verheiratet, und wir sind sehr glücklich. Doch seit einiger Zeit befürchte ich, dass sie unter Loyalität den Verzicht auf andere Bereiche meines Lebens versteht. Letzte Woche klingelte eine alte Bekannte bei uns und wollte bei uns übernachten – sie war überfallen und ausgeraubt worden. Natürlich bot ich ihr das Gästezimmer an, aber »Joanna« war wütend und starrte sie beim Frühstück nur giftig an. Später erklärte sie: »Jede Frau, die deine Freundin ist, ist meine Feindin.« Trotzdem lohnt es sich, weil die Beziehung zu »Joanna« geistig, seelisch und sexuell erfüllend für mich ist, aber bedeutet Ehe wirklich, dass man alle Brücken hinter sich niederreißt?
    – Treuer Ehemann in Detroit
    PKs PROGNOSE
    Sicher sollte es nicht so sein, aber in der Praxis ist es häufig so. Einer meiner besten Freunde hat vor zwei Jahren geheiratet, und jetzt ist es noch schwerer als vorher, ihn zu erreichen. Bestimmt macht es ihn manchmal traurig, aber (wie Sie ja selbst sagen) es