Ruegen Ranen Rachedurst
als komplett freie Zeit geplant war, wollte sie sich aber nicht mit einem weiteren Kriminalfall beschäftigen und schaute sich deshalb die Details auch nicht so genau an. Aber speziell diese Einzelheiten waren es, die Mark Benecke vorrangig interessierten.
„ Hast ja recht“, sagte er und sah sie kurz an.
„ Wieder das alte Problem …“ Er deutete auf Lydia und wandte sich dann an George. „Das ist übrigens meine Frau.“
„ Ich heiße Schmitz“, sagte George. „Georg Schmitz, Reporter für die Geilenkirchener Lokalzeitung und ein paar andere Blätter im Westen Deutschlands. Ich bin durch Zufall an die Sache gekommen. Na ja, Zufall …“
Benecke hob die Augenbrauen. „Doch nicht?“, hakte er nach.
„ Um ehrlich zu sein, ich habe den Polizeifunk abgehört. Ist so eine Angewohnheit von mir, die ich im Urlaub eigentlich besser bleiben lassen sollte. Aber jetzt ist es nun mal passiert. Kommen Sie, wenn wir uns beeilen, könnte ich Sie noch rechtzeitig zum Tatort bringen, bevor dort alle Spuren verwischt wurden.“
Benecke sah sein Gegenüber erstaunt an.
„ Meinen Sie das jetzt ernst?“
„ Ja sicher, Sie sind genau der Mann, den die Polizei jetzt braucht. Und zwar ganz dringend. Das ist ja nun wirklich nicht der erste Tatort, den ich besuche, aber ich muss sagen, ich habe selten eine dermaßen ratlose Polizei gesehen. Wobei ich den Beamten gar keinen Vorwurf machen kann, der Fall scheint mir auch äußerst … wie soll ich sagen … bizarr zu sein.“
„ Sagen Sie, ich habe auf den Fotos nichts vom Kopf gesehen“, fiel Benecke plötzlich auf.
„ Genau, das ist es ja! Der Kopf ist nicht am Tatort und wahrscheinlich wird irgendwann im Laufe des Tages eine Hundertschaft durch die Büsche trampeln und danach suchen …“
Benecke griff an die Hüfte, wo eine Reihe von kleinen Taschen an seinem Gürtel befestigt war. „Meine Ausrüstung habe ich im Prinzip dabei. Der Tatortkoffer ist auf dem Zimmer. Ich würde mir die Sache wirklich gerne ansehen.“ Und an Lydia gewandt versprach er noch: „Nur kurz!“.
„ Ja, ja. So kurz wie bei der Sache mit dem Hitlerschädel in Moskau …“
***
Nur wenig später saßen George und Benecke im Wagen des Reporters, der das Gaspedal so weit durchtrat, wie die Straßenverkehrsordnung das gerade noch hergab. Bisweilen fuhr er allerdings auch ein bisschen schneller als erlaubt.
„ Sie sind aber wirklich nur Reporter und kein Kripo-Beamter mit Sonderbefugnissen zur Missachtung der Straßenverkehrsordnung?“, vergewisserte sich Benecke.
„ Keine Sorge, ich weiß, was ich tue und wie weit ich gehen kann“, meinte George.
Benecke zuckte mit den Schultern. „Da haben wir es wieder, das alte Problem.“
„ Was?“
„ Wenn jemand ganz genau Bescheid zu wissen vorgibt, steigt die Gefahr erheblich, dass er völlig danebenliegt, weil er eine falsche Voraussetzung zugrunde legt.“
„ Herr Benecke …“
„ Ich meine ja nur. Wäre sicher nicht sehr witzig, wenn wir jetzt von der Polizei angehalten würden und deswegen den Tatort nicht erreichen.“
„ Na, bei Ihnen dürfte doch der Promi-Bonus wirken, Herr Benecke“, erwiderte George. „Hoffe ich zumindest.“
Benecke holte aus einer der Gürteltaschen eine Zange hervor. „Würden Sie vielleicht so vorsichtig fahren, dass ich mich nicht verletze, wenn ich mir den Nasenring herausnehme?“
Der Reporter runzelte die Stirn und meinte: „Ich habe die ganze Zeit schon überlegt … Im Fernsehen tragen Sie den nicht, oder?“
„ Nein, das ist nicht so richtig massenkompatibel, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„ Verstehe ich durchaus“, lächelte George.
„ Manchmal ist es wichtig, aufzufallen, und manchmal ist es besser, unscheinbar zu sein.“
„ Leider sind Mörder meistens unscheinbar, sodass die Zeugen sich nicht an sie erinnern. Oder nur so, dass jeder auf dem Phantombild gemeint sein könnte. Zumindest ist das meine Erfahrung.“
„ Ach, gehen Sie mir weg mit Zeugen! Die sind doch die größte Fehlerquelle bei allen Ermittlungen und Prozessen. Die erinnern sich an Dinge, die es nachweislich nicht gab und das Wichtigste übersehen sie.“
Benecke legte ein Bein über das andere.
Georges Blick fiel dadurch kurz auf dessen Schuhsohlen. Irgendwie passten die Plastiksohlen nicht so recht zu der seitlich geschnürten Hose aus hochwertigem Leder. Beneckes Outfit bot für einen Mann wie George einen zwar gewöhnungsbedürftigen, aber in sich stimmigen Anblick. Bis auf die Schuhe.
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