Rügensommer
Gleichgewicht halten. Sie schnaufte, musste lachen. Was war das für ein Klopfen? Das passte doch gar nicht in die Musik. Da war außerdem schon ein Klingeln gewesen, das war ihr schon vor einer Minute so vorgekommen. Nur hatte sie sich nicht weiter darum gekümmert. Sie schüttelte noch immer rhythmisch die Schultern, tippte mit dem Fuß im Takt. Da war es wieder, dieses Klopfen. Sie ging zur Anlage und stellte das Lied leiser. Schon meldete sich das Kribbeln in ihrem Bauch zurück, denn es war ziemlich gut möglich, dass Hannes zu ihr wollte.
In dem Moment klingelte es wieder an ihrer Tür. Sie schob den Kopf hin und her wie eine indische Tempeltänzerin, während sie durch den Flur lief.
Hannes stand mit versteinertem Gesicht vor ihr. »Bist du irre?«, herrschte er sie an. »Du wohnst hier nicht alleine. Hast du schon mal etwas von Rücksicht gehört?«
»Was ist denn …? Ich …« Sie fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen. Nein, es war noch schlimmer. Deike war wie betäubt, sie verstand die Welt nicht mehr.
Er bebte am ganzen Leib, ihm war anzusehen, wie aufgeregt er war. Sogar seine Lippen zitterten. Aber warum bloß? Es gab doch keinen Grund! Konnte er sich wirklich derart über laute Musik aufregen? Er hatte doch neulich selbst … Ihre Gedankenkreisten rasend schnell durch ihren Kopf – ohne Ergebnis. Sie standen sich gegenüber, beide unter höchster Spannung, keiner sagte ein Wort.
Sein Kiefer drohte im nächsten Augenblick zu brechen, so presste er offenbar die Zähne aufeinander. Seine Mimik spiegelte ein Wechselbad der Gefühle wieder, verzweifelt in einem Moment, wütend im nächsten und dann beinahe müde und niedergeschlagen.
»Es wäre sehr nett, wenn du … wenn du mir ein wenig Ruhe gönnen würdest.« Sie hatte den Eindruck, dass er innere Qualen auszustehen hatte. Wenn er sich ihr doch nur anvertrauen könnte.
»Ich verstehe nicht …«, setzte sie hilflos an. Sie wünschte sich so sehr, dass das ein böser Scherz von ihm war, dass die Lippen zitterten, weil er sich das Lachen so angestrengt verkneifen musste.
Er schluckte hart. »Und sei so freundlich, dein Auto auf deinen Parkplatz zu stellen.« Ihr schien es, als habe er Tränen in den Augen. Rasch drehte er sich um und war mit drei Schritten in seiner Wohnung.
Deike ließ sich auf ihr Sofa fallen. Sie war völlig benommen. Wie lange sie dort in ihrem Wohnzimmer saß, hätte sie später nicht sagen können. Auch, ob sie ihren Wagen tatsächlich umgeparkt hatte, wusste sie nicht mit Sicherheit. Inzwischen war es dunkel. Nicht einmal Licht hatte sie sich angemacht. Noch immer versuchte sie, mit Logik zu erfassen, was da soeben geschehen war. Entweder litt er unter einer gespaltenen Persönlichkeit, oder irgendjemand setzte ihn unter Druck. Oder war er einfach nur ein dreckiger Mistkerl, der sie ins Bett bekommen und nun schon genug von ihr hatte? Sie zog in Erwägung,Natty anzurufen, entschied sich dann aber, damit zu warten, bis sie darüber sprechen konnte. Wenn sie nicht wenigstens eine Nacht darüber geschlafen hatte, würde sie ohnehin nur zusammenhanglos stottern. Nein, sie würde sich keine Nacht mit dieser Ungewissheit, mit diesem Gefühl einer tiefen Demütigung quälen. Sie musste mit ihm sprechen, ihn zur Rede stellen. Und zwar jetzt gleich. Es gab keine Rechtfertigung für ein solches Verhalten, und sie würde sich das nicht gefallen lassen.
Wie bei ihrer ersten Begegnung war er nur wenige Atemzüge nach dem Klingeln an der Tür.
Seine Augen waren so voller Kummer, dass sie den Impuls spürte, ihn zu trösten. Aber er sagte kein Wort, und sie war hier diejenige, die Trost brauchte, die eine Entschuldigung verdient hatte.
»Könntest du mir bitte erklären …« Weiter kam sie nicht. Er brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen und blickte nervös hinter sich. Aus einem Zimmer war Musik zu hören. Wenn man das denn Musik nennen wollte. In Deikes Ohren schmerzte dieses psychedelische Gedudel. Wahrscheinlich feierte er im Hinterzimmer eine Orgie und stand bis zu den Haarspitzen unter Drogen. Das Maß war voll.
»Könntest du mir bitte erklären, was mit dir los ist?«, zischte sie. »Hast du dir etwas eingeworfen?« Sie starrte ihn zornig an.
»Das verstehst du nicht, und ich kann dir das jetzt auch nicht erklären.« Er war ungeduldig.
»Ich bin kein Kleinkind«, sagte sie langsam und betonte jedes einzelne Wort. »Hannes, sprich mit mir«, flehte sie ihn an.
»Ich kann
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