Rügensommer
nicht.«
»Herrje, bei der Musik musst du ja depressiv werden.«
Ein Zucken um seine Mundwinkel. »Du solltest nicht vonDingen sprechen, von denen du nichts verstehst. Von Musik kriegt man keine Depressionen.«
Jetzt war es ihr endgültig zu dumm. »Ach, das hatte ich ganz vergessen, Geologen sind ja Fachleute auf dem Gebiet psychischer Erkrankungen.« Sie funkelte ihn wütend an. »Ich weiß auch, dass das nichts mit der Musik zu tun hat. Man sagt das eben so.«
»Das sollte man aber nicht. Man sollte nicht so daherreden.«
Deike war außer sich. Was war das hier überhaupt für eine Diskussion? Es ging doch gar nicht um dieses üble Gejaule. Nur verweigerte er leider jeden Kommentar zu dem, worum es eigentlich ging. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er wieder seine Schlabberhose trug, in der sie ihn seit Tagen nicht mehr gesehen hatte.
»Ha, ich hab’s«, rief sie. Einer musste schließlich etwas sagen. »Das ist eine Zauberhose. Wenn du die trägst, bist du verhext!« Sie wollte ihn aus der Reserve locken, wollte ihm sagen, wie wunderbar er gewesen war, als er nicht im Bann der Zauberhose gestanden hatte. Er würde lächeln und mit ihr reden müssen!
Ehe sie ein weiteres Wort sagen konnte, schloss er die Tür vor ihrer Nase.
14.
Die nächsten Tage waren fürchterlich. Sie hatte sich an dem Abend, an dem Hannes sich so komplett verändert hatte, in den Schlaf geweint und war am nächsten Morgen mit verquollenen Augen in die Redaktion gefahren. Obwohl es mit jedem Tag wärmer, die Insel farbenfroher und fröhlicher wurde – roter Mohn, blaue Kornblumen, saftig grüne Wiesen und grünes Schilf, dazu sehr viel tiefblaues Wasser –, kam ihr alles grau und trostlos vor. Nach Feierabend besuchte sie möglichst vieleRestaurants und Bars, um nur nicht früh zu Hause zu sein. Auf ihre Terrasse traute sie sich gar nicht mehr. Wenn sie doch mal recht früh in das hübsche kleine Reetdachhaus kam und noch etwas frische Luft brauchte, ging sie am Bodden spazieren. Sie war dankbar für den Wanderweg, eine wirklich schöne Alternative zu ihrem Garten. Sie ging alleine zur Saisoneröffnung des Varietés Boddenbarsch und ließ auch die zweite Karte für das Inseltheater in Putbus verfallen. Wen hätte sie mitnehmen sollen? Sie hatte keinen Blick für den stilsicher restaurierten Innenraum und die aufwändige Bühnengestaltung. Es gelang ihr ja kaum, der Handlung zu folgen, obwohl die Darsteller wirklich etwas von ihrem Beruf verstanden.
Deikes Gedanken drehten sich im Kreis. Sie konnte nicht vergessen, was ihr widerfahren war, wie gänzlich unverständlich Hannes’ Verhalten war. Sie brauchte neue Informationen, neue Aspekte, um die Spirale in ihrem Kopf unterbrechen zu können. Nur hätte sie dafür mit ihm reden müssen, und das erschien ihr unmöglich.
Eines Abends ergab sich die Gelegenheit dazu. Sie hörte, dass er nach Hause kam. Sie vernahm all die vertrauten Geräusche, wie er mit seinem Rennrad die Stufen hinaufkam, wie er es am Haus vorbei nach hinten in den Garten schob, um es im Gartenhäuschen zu verstauen. Gleich würde sie das Kratzen des Stuhls auf der Terrasse hören. Doch dieses Geräusch blieb aus. Sie stutzte, kümmerte sich jedoch nicht weiter darum, denn sie wollte nach Ralswiek fahren, wo sie auf der Freilichtbühne einen Termin mit dem Hauptdarsteller der diesjährigen Störtebeker Festspiele haben würde. Sie wollte gerade aus dem Haus, da hörte sie etwas. Hannes stand vor ihrer Tür. Kein Zweifel. Sie hörte ihn hüsteln und mit den Füßen scharren. Deike hielt die Luft an. Würde er sich ihr endlich erklären? Konnte dochnoch alles zwischen ihnen in Ordnung kommen? Sie könnte die Tür öffnen, bevor er es sich anders überlegte. Das tat sie nicht, sondern ließ die Gelegenheit verstreichen. Ein tiefer Seufzer auf der anderen Seite der Haustür, dann ging er.
Deike stand noch immer unbeweglich da, nachdem seine Tür längst ins Schloss gefallen war.
An einem anderen Abend fasste sie sich ein Herz und rief ihre Schwester an. Sie musste sich ihren Kummer einfach von der Seele reden. Es fiel ihr schwer, das Thema anzuschneiden, zumal sie zunächst von dem himmlischen gemeinsamen Wochenende mit ihm berichten musste, damit Natty das ganze Ausmaß der Katastrophe verstand.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufmerksam und charmant er war und wie süß.« Deike schluckte. In ihrem Hals hatte sich ein dicker Kloß eingenistet.
»Doch, Schwesterchen, das kann ich mir vorstellen. Ich habe doch
Weitere Kostenlose Bücher