Rügensommer
sie total erledigt. Sie wollte nur noch auf das gemütliche kleine Sofa, das sie gleich am ersten Abend ins Herz geschlossen, und noch ein wenig in den Unterlagen über Rügen stöbern, mit denen Andrea sie versorgt hatte.
»Sie müssen die neue Nachbarin sein!«
Deike drehte sich, den Hausschlüssel in der Hand, überrascht um. Vor ihr stand eine kleine Frau, die ihr höchstens bis zur Brust reichte. Im schwachen Schein der einzigen Laterne, die es weit und breit gab, schimmerte das sorgsam ondulierte Haar rosa. Der Zwergpudel, den sie an der Leine führte, damit er zu später Stunde noch sein Geschäft erledigen konnte, hatte die gleiche Farbe.
»Guten Abend«, sagte Deike zögerlich. Sie warf einen unsicheren Blick auf die Haushälfte von Schlabberhosen-Hannes, wo wieder einmal sämtliche Vorhänge zugezogen waren.
»Juten Abend«, antwortete die kleine rosa Frau fröhlich. »Wir wohnen da drüben.« Sie reckte das Kinn in Richtung desweiß verputzten Einfamilienhauses, das von einem großzügigen Garten umschlossen an den rechten Rand des Doppelhaus-Grundstücks grenzte.
Großartig, dachte Deike, jetzt kenne ich Menschen aus zwei Häusern hier im Ort. Das ist immerhin schon ein Viertel!
»Duschel.« Die zierliche Person hatte die Stufen erklommen und reckte Deike die Hand hin.
»Was?«
»Mein Name ist Duschel, Laetitia Duschel. Mir kommen aus Düsseldorf, min Mann un ich. Haben dort in Mode jemacht, eine Reihe Boutiquen und ein Outlet. Das war viel Arbeit, kann ich Ihnen sagen!« Sie schnaufte. Der Pudel hatte sich bis zum Blumenkübel und der dort noch immer verloren herumstehenden Champagnerflasche geschnüffelt und hob das Bein. Deike wollte etwas sagen, doch da sprach Nachbarin Duschel schon weiter.
»Sie sind doch auch nicht von hier.«
»Nein, ich komme aus Frankfurt.«
»Ah, sojet hab ich mir jedacht«, stieß sie triumphierend aus. »Ach, da krech ich Heematjeföhls. Wir sind hier vor drei Jahren herjezogen, müssen Sie wissen. Vorher waren wir schon oft als Urlauber auf Rügen, gleich nach der Wende das erste Mal. Und dann haben wir beschlossen, hier unseren Lebensabend zu verbringen.« Wieder seufzte sie laut und herzzerreißend. »Et es äwwer och zu schön!« Sie schwärmte Deike derart von der Insel vor, von den langen Stränden, den wunderbaren Wanderwegen auf den Kämmen der Steilküsten, von den Kreidefelsen natürlich und dem Roland, den ihr Mann besonders liebte, dass diese auf der Stelle Lust bekommen hätte, hierherzuziehen, wenn sie nicht schon hier wohnen würde. »Nur die Einheimischen sind ein bisschen schwierig«, behaupteteLaetitia Duschel und senkte ihre etwas zu schrill geratene Stimme. »An die kommt man nit ran.« Für einen kurzen Moment verfinsterten sich ihre Gesichtszüge, aber das breite Lächeln kehrte augenblicklich zurück. »Jetz hant mir ja Ehr!«
»Ja, jetzt haben Sie mich«, gab Deike halbherzig zurück.
Wieder wechselte die Mimik der Duschel schlagartig. »Sie wohnen doch wohl nicht alleine hier?«
»Doch, warum nicht?« Allmählich verlor sie die Lust auf die nachbarschaftliche Plauderei.
»Haben Sie denn keine Angst?«
Deike lachte. »Nein. Wovor sollte ich denn Angst haben?«
»Na, vor dem!« Sie reckte das Kinn kaum merklich in Richtung der anderen Haushälfte und zog hektisch ihren Pudel heran, als habe sie erst jetzt bemerkt, dass dieser dort herumschnüffelte. »Dat is ne fiese Möpp«, flüsterte sie verschwörerisch und kniff die Augen zusammen.
Zunächst widersprach Deike und nahm Schlabberhosen-Hannes in Schutz. Immerhin hatte er ihr mit den Möbeln und den Kartons geholfen. Nur weil er etwas eigenbrötlerisch war, musste er doch nichts auf dem Kerbholz haben. Je länger die Duschel aber erzählte, was sie schon alles mit ihm erlebt hatte und was man so von ihm hörte, desto mulmiger wurde es Deike. Ihr fiel das klägliche Jammern ein, das von drüben zu hören gewesen war, als er ihr Bett montiert hatte. War er nicht geradezu panisch aus dem Haus gestürzt? Womöglich hielt er jemanden gefangen! Deikes Phantasie machte sich selbständig. Sie musste an Norman Bates aus
Psycho
denken und hatte sofort die mumifizierte Leiche einer alten Frau vor Augen. Vielleicht hatte er seine Mutter umgebracht und lebte nun komfortabel von ihrem Geld und mit ihren Überresten. So ein Quatsch, schalt sie sich, eine Mumie könnte ja wohl nicht mehr jammern.
»Ich passe schon auf mich auf«, versprach sie der besorgten Duschel, die die Nachbartür anstarrte,
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