Rütlischwur
vorsichtig auf. Tatsächlich blieben die Blitze in seinem Kopf aus.
Er stand langsam auf und machte ein paar Schritte.
Auch die Messer stachen nicht mehr. Nur noch ein dumpfes Pochen und in der linken Schulter ein Reißen, als wollte ihn jemand unsanft zurückhalten. »Wo bin ich hier …?«, fragte er. »Wo zum Teufel bin ich hier?«
Judith schwieg.
Eschenbach ging langsam auf die sitzende Gestalt zu. Er spürte, wie er ungehalten wurde, wie langsam die Wut in ihm hochkochte. »Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten. Verdammte Scheiße!«
»Nicht so laut«, flüsterte Judith und richtete sich auf. Beide standen sich nun gegenüber, kaum eine Handbreit voneinander entfernt.
»Also gut.« Der Kommissar, der die junge Frau um mehr als einen Kopf überragte, drosselte seine Stimme. Er fasste Judith mit beiden Händen an den Schultern und sagte: »Sie setzen sich jetzt wieder hin, und dann reden wir, verstanden? Ich will wissen, was geschehen ist. Und ich will verdammt noch mal wissen, warum ich hier festgehalten werde. Auch verstanden?«
Judith hob den Kopf und sah ihn an. »Sie können sich nicht erinnern, nicht wahr?«
»Doch, kann ich.« Eschenbach sah, wie ihn Judiths Augen im einfallenden Dämmerlicht anstarrten. »Mein Gedächtnis funktioniert wunderbar … Aber langsam verliere ich die Geduld. Die Geduld mit Ihnen. Und wenn es nicht anders geht, dann rufe ich jetzt meine Kollegen, und wir führen dieses Gespräch bei mir im Präsidium weiter.«
Für einen kurzen Moment senkte Judith ihren Blick. »Sie sind ein Narr, Doktor.« Sie kramte eine kleine Karte aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, hielt sie Eschenbach vors Gesicht: »Vielleicht waren Sie ja einmal Polizist … in einem früheren Leben. Es gibt Menschen, die glauben an so was. Sie waren lange bewusstlos, möglicherweise liegt es daran … Keine Ahnung. Ich weiß aber, dass Sie kein Bulle sind. Diese Karte haben Sie mir letzte Woche gegeben.« Judith drückte ihm das kleine Stück Karton in die Hand. »Lesen Sie … und denken Sie darüber nach.«
Eschenbach hielt die Karte hoch. Weil er sie im Halbdunkel nicht lesen konnte, tastete er sich zu dem Schreibtisch mit der Leselampe. Diesen kurzen Augenblick nutzte Judith. Sie lief an ihm vorbei und verschwand durch die Tür.
Der Kommissar hörte das klackende Geräusch, mit dem sich der Schlüssel im Schloss drehte. Er war gefangen – ein alter Trottel, der mit sich selbst und der Welt nicht mehr zurechtkam. Ein Jammerlappen.
Unter dem Schein der Lampe betrachtete er das Stück Karton: Es war eine Visitenkarte der Banque Duprey , das Logo zeigte eine rote Taube mit ausgebreiteten Flügeln. Und in der Mitte stand in dunkelblauem Prägedruck sein Name. In Großbuchstaben und mit Doktortitel: Er war Chief Compliance Officer und Member of the Board .
Was um alles in der Welt war mit ihm geschehen?
Kapitel 4
Der lange Weg zurück
I ch bin am Arsch, jetzt weißt du’s«, sagte Banz.
Dieser Satz war dem Bankier schwergefallen. Banz schien geradezu körperliche Schmerzen zu empfinden, als er ihn aussprach. Eschenbach musterte das gerötete Gesicht seines Gegenübers, das einen Moment den Blick gesenkt hielt.
Nachdem sie an einem großen Tisch im Garten des Pan Pacific kulinarisch verwöhnt worden waren, hatte Banz sie in eine lauschige Ecke im hinteren Teil der Anlage geführt. »Ich habe diesen Platz für uns reservieren lassen«, hatte er gemeint. »Damit wir ungestört sprechen können.«
Außer Hörweite der anderen Gäste des Hotels saßen Corina und er dem Bankier gegenüber, in ausladenden Lounge-Chairs von Dedon.
Der Kellner brachte die dritte Flasche Dom Perignon und öffnete sie.
Banz ließ sich eine Serviette geben, hob seinen Panamahut etwas an und trocknete die glänzende Stirn.
Eschenbach schwieg eine Weile. Sie hatten eine Menge getrunken. Aber im Gegensatz zu Corina und ihm, die der Alkohol sichtlich ermüdet hatte, schien der Bankier erst richtig in Fahrt zu kommen. Vermutlich war es die Erleichterung, die Banz verspürte, nachdem er ungewöhnlich kleinlaut, mit leiser und etwas rauer Stimme seine missliche Lage offenbart hatte.
Und aus dieser Lage, eingesunken im Morast, versuchte Banz sich offenbar hochzurappeln.
In diesem Moment wurde dem Kommissar klar, weshalb sein ehemaliger Mitschüler um den halben Globus geflogen war, um ihn zu treffen. Banz brauchte Hilfe. Und geduldig wartete Eschenbach darauf, dass einer der einflussreichsten Privatbankiers von Zürich
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