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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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nimmst du’s raus, siehst nach, wer’s gewesen ist, und steckst es wieder zurück.«
    »Es ist auf lautlos gestellt.«
    »Aber ich hör’s trotzdem.« Corina raschelte mit der Zeitung: »Es vibriert … und weil es auf dem Stuhl da liegt, scheppert es.«
    »Ich habe gedacht, du liest die Zeitung?«
    »Ich kann lesen und hören – Frauen können das.«
    Seit zwei Stunden saßen sie nun schon auf der Terrasse bei BLENZ an der Robson Street im West End von Vancouver und streckten die Beine. Eschenbach liebte diese kleine Terrasse vor dem Coffee-Shop mitten im Herzen der Pazifik-Metropole. Er blickte an Corina vorbei auf die Straße. Es war kurz vor fünf. Der Abendverkehr hatte eingesetzt; Autos, Motorräder und Busse hupten und stanken in Zweierkolonnen in Richtung Stanley Park. Das ganze Programm, direkt vor ihrer Nase.
    Wenn man nichts vorhat, ist es beruhigend, wenn um einen herum etwas passiert. Eschenbach zündete sich eine Brissago an. Wenigstens unter freiem Himmel durfte man noch rauchen.
    Aus der Armada ihrer Shopping-Tüten hatte Corina die Jeans, Tops und Tanks hervorgezogen und sie dann wieder eingepackt. Sie hatte nicht lockergelassen, bis sie mit Eschenbach sämtliche möglichen Kombinationen durchgegangen war.
    Der Kommissar hatte genickt und zustimmende Geräusche von sich gegeben. Er hatte eine Reihe Adjektive durchgebetet (schön, toll, großartig) und Sätze gefunden wie: »You are my Pacific blue morningstar« (zur blauen Variante) oder »My straw­berry fields forever« (zu Altrosa mit Schlammgrün). Zwischen den Kurzvorstellungen seiner Frau hatte er die Zeit genutzt, sich vom Hongkong-Chinesen hinter der Theke einen Double-shot Espresso Macchiato brauen zu lassen. Und dann hatte sie von ihm abgelassen und angefangen zu lesen.
    Corina hatte recht. Eigentlich war er mit seinen Gedanken ganz woanders.
    »Es braucht gar nicht viel, um glücklich zu sein.« Corina gab nicht auf. Sie hob das Kinn, wie ein Pianist vor einer schwierigen Passage.
    Eschenbach nickte. Einen Moment überlegte er, ob er auf diesen Satz antworten müsse. Der wirkliche Wert langjähriger Beziehungen bestand darin, dass man schweigen konnte, dachte der Kommissar. Auch ohne schlechtes Gewissen. Vermutlich hätten die wenigen Dinge, die sie an diesem Tag unternommen hatten, auch gereicht, um harmonisch in einen weiteren vergnüglichen Abend zu starten. Aber so wie es aussah, hatte Rosa seine Telefonnummer weitergegeben – was klar gegen ihre Abmachung verstieß. Jedenfalls hatte er jetzt den Salat!
    »Wenn du zurückrufst, ist’s erledigt.«
    Er hatte gerade eine Gruppe Motorradfahrer im Visier. Wilde Kerle, ohne Helm, nur mit Kopftüchern, die in den letzten fünf Minuten – trotz ihrer aufgemotzten Maschinen – nicht mehr als dreißig Meter weitergekommen waren.
    Der Kommissar blies Rauch in die Abendluft. »Erledigt ist dann gar nichts«, brummelte er. Es war noch nie irgendetwas einfach erledigt gewesen, nur weil er sich gemeldet hatte. Nie! Im Gegenteil, es hatte dann immer erst angefangen. Die ewig gleiche Geschichte war es: die Sache mit dem kleinen Finger, der die ganze Hand mit sich zog. Hörbar sog er Luft durch die Nase und wandte sich seiner Frau zu. Er sah sie einen Moment schweigend an, dann sagte er: »Ich muss zurück, Corina.«
    »Zurück?« Seine Frau sah ihn scharf an. In ihrem Blick spiegelten sich Besorgnis, Wut und Unverständnis. »Wir sind sechs Wochen hier, und acht waren vereinbart. Eine Auszeit, hast du doch selbst gesagt. Und du hast einen Stellvertreter, Claudio Jagmetti – soll sich der doch darum kümmern.«
    Eschenbach schwieg.
    »Wann?«, fragte sie.
    »Morgen Abend. Rosa hat den Flug bereits gebucht.«
    »Und das sagst du mir erst jetzt!«
    »Eine Order von ganz oben.« Eschenbach seufzte. »Ich weiß es auch erst seit zwei Stunden. Rosa hat mich angerufen, als du …« Er deutete auf Corinas Einkaufstaschen. »Regierungsrätin Sacher will mich sprechen, gleich am Montag.«
    »Heute ist Freitag.«
    »Eben.«
    »Und morgen kommt Kathrin, sie hat bis Montag frei. Wir wollten für ein langes Wochenende in die Berge.«
    »Ich weiß.«
    Eine Weile sagten sie beide nichts. Eschenbach verstand Corinas Ärger; er fühlte sich hilflos und in gewisser Weise schuldig.
    Als ihm seine Frau ein halbes Jahr zuvor eröffnet hatte, dass Kathrin für ein Austauschjahr nach Kanada gehen und sie ihre Tochter begleiten würde, hatten sie an einem Scheideweg gestanden: getrennte Betten, zwei Wohnungen

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